„Wir müssen raus aus diesem Notfallmodus!“

Ein Kita-Sozialindex könnte nicht nur helfen, Benachteiligungen von Kindern abzubauen, sondern auch die Arbeitsbedingungen für pädagogische Fachkräfte in Kitas zu verbessern, sagt Niels Espenhorst. Er ist Referent für Kindertageseinrichtungen beim Paritätischen Gesamtverband.
Sie fordern in Ihrer aktuellen Expertise „Gerechtigkeit von Anfang an“ einen Sozialindex für Kindertageseinrichtungen. Was ist der Kita-Sozialindex und warum ist er wichtig?
Der Sozialindex ist aus zwei Gründen wichtig:
1. Kitas haben sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen.
2. Kinder, die stark benachteiligt sind, werden nicht ausreichend gefördert. Während es in Schulen bereits sozialindexbasierte Förderungen gibt, existieren solche Mechanismen für Kitas noch nicht flächendeckend. Bei der finanziellen Ausstattung einer Kita wird bisher in der Regel nicht berücksichtigt, ob Kinder besondere Bedarfe haben. Mit dem Kita-Sozialindex wollen wir das ändern. Er soll Benachteiligungen nicht nur abbauen, sondern verhindern, bevor sie entstehen. Wir wollen daher systematisch erfassen, unter welchen Umständen die Kinder aufwachsen und mit welchen Risiken der Benachteiligung das ggf. verbunden ist. Dass letztere Auswirkungen auf die frühkindliche Entwicklung haben können, ist seit Langem bekannt, aber wir müssen endlich ins Handeln kommen.
Welche Faktoren werden im Index berücksichtigt?
Im Wesentlichen sind das vier Kategorien: das Haushaltseinkommen, der Migrationshintergrund, gesundheitliche Aspekte und prekäre familiäre Verhältnisse. Während einige Bundesländer bereits Armut und Migrationshintergrund erfassen, werden Gesundheit und familiäre Belastungen bislang kaum berücksichtigt. Dabei sind sie entscheidend für die frühkindliche Entwicklung.
„Einrichtungen sollten sich bewusst machen, welche Kinder sie betreuen und welche Risiken für Benachteiligung vorliegen.“
Niels Espenhorst

Wie kann der Sozialindex den Kitas konkret helfen?
Er ermöglicht eine passgenaue Unterstützung: Es könnte etwa einmal jährlich erhoben werden, wie viele Kinder mit welchen Risiken einer Benachteiligung eine Kita besuchen. Die meisten dieser Informationen liegen den Einrichtungen bereits vor. Diese Risiken können dann mit dem Index erfasst und die Einrichtungen ganz gezielt gefördert werden. Das hat den Vorteil, dass wir wirklich auf die Einrichtungsebene schauen. Im schulischen Kontext werden eher Sozialraumdaten genutzt. Aber in einem Sozialraum können sich mehrere Kitas befinden, die sehr unterschiedliche Voraussetzungen und Zusammensetzungen der Kindergruppen haben.
Der Sozialindex soll diese Schieflage ausgleichen und Einrichtungen mit vielen benachteiligten Kindern gezielt stärken. Diese können dann entsprechend der Benachteiligungsrisiken Personal aufstocken und zusätzliche Ressourcen bereitstellen – ob durch mehr pädagogische Fachkräfte, Verwaltungshilfen oder interdisziplinäre Teams mit Logopäd:innen und Sozialarbeiter:innen.
Aber haben wir nicht ohnehin schon Fachkräftemangel?
Zunächst müssen wir die vorhandenen Fachkräfte halten und ihre Arbeitsbedingungen verbessern. Viele verlassen ihre Kita, weil sie im Dauerstress arbeiten. Da könnte es schon helfen, die pädagogischen Fachkräfte bei Hauswirtschafts- und Verwaltungsarbeit zu entlasten. Dann bleibt mehr Zeit für die Kinder.
Wir müssen raus aus diesem Notfallmodus! Bessere Bedingungen für Fachkräfte führen zu weniger Fluktuation – und wenn eine Kita wieder attraktiv wird, kommen auch neue Fachkräfte nach. Der Sozialindex ist also nicht nur eine Investition in die Kinder, sondern auch in stabile Teams.
Könnte der Sozialindex bundesweit eingeführt werden?
Ja, das wäre wünschenswert. Anders als Schulen sind Kitas Teil der Kinder- und Jugendhilfe – und hier kann der Bund steuernd eingreifen. Wichtig ist aber, dass es keine kurzfristigen Programme gibt, die nach wenigen Jahren auslaufen. Solche Maßnahmen verhindern nachhaltige Verbesserungen.
Gibt es die Gefahr, dass Kinder sich durch den Index stigmatisiert fühlen?
Nein, denn es geht nicht um die individuelle Erfassung der Kinder, sondern um die strukturelle Ausstattung der Einrichtungen. Die Kita-Leitung kennt die Daten oft schon – Eltern werden nur befragt, wenn Informationen fehlen. Das Kind selbst bekommt davon nichts mit.
Was können pädagogische Fachkräfte tun, um gezielt gegen Benachteiligungsrisiken vorzugehen?
Einrichtungen sollten sich bewusst machen, welche Kinder sie betreuen und welche Risiken für Benachteiligung vorliegen. Der Index kann dabei helfen, gezielt Fortbildungen zu wählen, Schutzkonzepte zu entwickeln und eng mit den Eltern zusammenzuarbeiten. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist ein wichtiger Punkt. Kita-Sozialarbeit, Kooperation mit Frühen Hilfen, die Einbindung von Logopäd:innen, Hauswirtschaftskräften, Verwaltungskräften – die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Team spielt eine enorme Rolle.
Zum Schluss: Was haben Sie zuletzt erforscht?
Ich koche sehr gerne – und für mich ist Kochen auch eine Art von Forschen. Da kann ich verschiedene Versuchsanordnungen aufstellen und mit unterschiedlichen Nuancen experimentieren, um ähnliche Gerichte herzustellen.
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