"In jeder Kita steckt ein Schatz, den es zu bergen lohnt"

© StKf / RBSG; Bureau Arnold Photographie

Marie Siegling arbeitet als Referentin Inhalte und Organisationsentwicklung bei der Stiftung Kinder forschen und hat im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit der Robert Bosch Stiftung das Kita-Lab ins Leben gerufen. Ko-kreativ entsteht dort gemeinsam mit Kita-Teams ein interaktives Produkt. Hier berichtet sie, wie das funktioniert.

Frau mit blonden Haaren stützt ihre Hand an ihr Kind. Sie sitzt am Tisch, im Hintergrund eine Pinnwand mit bunten Notizetteln.
© Stiftung Kinder forschen/Robert Bosch Stiftung; Bureau Arnold
Marie Siegling verantwortete federführend die ko-kreative Produktentwicklung im Kita-Lab der Stiftung Kinder forschen und der Robert Bosch Stiftung.

Marie, du betreust federführend die laufende Produktentwicklung im Kita-Lab. Was steckt hinter dem Kita-Lab? Und mit welchem Ziel habt ihr es 2023 ins Leben gerufen?

Das Kita-Lab ist ein ko-kreatives Format, in dem wir mit pädagogischen Fachkräften, Kita-Leitungen, Elternvertreter:innen, Fachberatungen und anderen Akteur:innen aus der frühen Bildung gemeinsam ein neues Angebot zum Thema Kita-Entwicklung gestalten – quasi: aus der Kita-Praxis für die Kita-Praxis. Unser Ziel war es, ein niedrigschwelliges, interaktives Produkt zu entwickeln, das Kita-Teams – auch vor dem Hintergrund geringer zeitlicher und personeller Ressourcen – selbstständig nutzen können. Wir wussten, dass externe Prozessbegleitung für Kita-Teams sehr hilfreich ist, aber eben nicht immer möglich. Deshalb wollten wir diese Prozess- und Methodenkompetenz, die Prozessbegleiter:innen in Kitas bringen, den Fachkräften bis zu einem gewissen Grad auch selbst zur Verfügung zu stellen – und ihnen zeigen: Seht, ihr könnt Veränderungsprozesse auch selbst anstoßen! 

Warum habt ihr euch für eine ko-kreative Produktentwicklung entschieden?

Grundsätzlich haben wir als Stiftung Kinder forschen immer ein Ohr an der Basis. Wir machen Pilotfortbildungen und testen fast alle Bildungsangebote vor Veröffentlichung noch mal mit der Zielgruppe. Für unsere Produktentwicklung war uns wichtig, die Bedürfnisse der Kita-Teams auch wirklich zu treffen. Wir wollten von vornherein verstehen, was die Kitas beschäftigt, was Hemmnisse im Alltag sind und was die Weiterentwicklung von Kitas fördern könnte. Darum haben wir uns mit unserem Projektpartner, der Robert Bosch Stiftung, dafür entschieden, die Zielgruppe von Anfang an mitgestalten zu lassen.

Klingt spannend. Dafür habt ihr Design-Thinking-Methoden genutzt, oder?

Ja, wir haben uns schon vor Projektbeginn für einen Design-Thinking-Prozess entschieden. Damit hatte unsere Stiftung mit Lehrkräften schon sehr gute Erfahrungen gemacht – und ich persönlich konnte auch viel Erfahrung aus früheren Projekten mitbringen. Das Schöne am Design-Thinking ist, dass durch die klare Struktur auch Menschen mitmachen können, die keine Vorbildung im Bereich Produktentwicklung haben. Und gleichzeitig lassen die Methoden viel Spielraum für Kreativität und für Impulse aus der Gruppe. Und das macht allen Beteiligten viel Spaß. 

Und wie habt ihr den Entwicklungsprozess konkret aufgesetzt?

In die erste Phase des Produktentwicklungsprozesses sind wir damit gestartet, dass wir den Problemraum genauer abgesteckt haben. Heißt: Was wissen wir bereits, wo brennt es bei Kitas am meisten? Und daraus haben wir dann unsere Ausgangsfrage formuliert: Wie können Möglichkeiten im Kita-Alltag entstehen, Dinge anders zu machen, auch in Zeiten von begrenzten Ressourcen? 

In der zweiten Phase haben wir dann ausgewählte Gruppen aus der Kita-Praxis dazugeholt und im neu gegründeten „Kita-Lab“ mehrere ko-kreative Workshops veranstaltet – sowohl in Präsenz als auch digital. Bei den Workshops ging es darum, die verschiedenen Perspektiven der Kita-Lab-Teilnehmenden kennenzulernen, im nächsten Schritt ein gemeinsames Verständnis herzustellen und dann gemeinsam Ideen und konkrete Prototypen für sinnvolle Angebote für Kita-Teams zu entwickeln. 

In einer dritten Phase haben wir die entstandenen Ideen und Prototypen mehrfach mit pädagogischen Fachkräften und Kita-Leitungen getestet und überarbeitet – bis wir uns im Sommer 2024 für eine Idee entschieden haben. Unser Kita-Lab haben wir an dieser Stelle dann auch beendet. Seither läuft die vierte und letzte Phase, in der wir das finale Produkt mit unserem Projektteam im Detail finalisieren. Im Herbst haben wir es noch einmal abschließend mit Kita-Teams auf Herz und Nieren geprüft und letztmalig inhaltlich und optisch überarbeitet. Damit sind wir jetzt so gut wie fertig und freuen uns auf die Veröffentlichung im nächsten Jahr.

Und wie war das Feedback der Kita-Lab-Teilnehmer:innen? Wie hat die Zusammenarbeit geklappt? 

Schon anhand der knapp 100 Bewerbungen auf unsere 25 Plätze haben wir gemerkt, dass die Kita-Praxis Lust hat sich einzubringen und das Thema Kita-Entwicklung und Veränderungsprozesse in Kitas aktiv mitzugestalten. Das Feedback nach unseren drei Workshops war überwältigend positiv. Am häufigsten haben unsere Teilnehmenden gesagt, dass es ein absolutes Highlight war, die Design-Thinking-Methodik kennenlernen und ausprobieren zu können. Zudem waren wir sehr berührt von den kollegialen, gar freundschaftlichen Verbindungen, die zwischen den Teilnehmer:innen entstanden sind. Einige haben sich abseits vom Kita-Lab unterstützt, gegenseitig hospitiert und mit Ideen für die Kita-Praxis inspiriert. Viele haben uns gespiegelt, dass sie sich und ihre Meinung sehr wertgeschätzt gefühlt haben. Das halte ich für einen ganz wichtigen Faktor für die Zusammenarbeit mit pädagogischen Zielgruppen.

Für unsere Produktentwicklung war uns wichtig, die Bedürfnisse der Kita-Teams auch wirklich zu treffen. Darum haben wir sie von Anfang an mitgestalten lassen.

Marie Siegling, Projektleiterin Kita-Lab

Würdest du auch anderen, die mit ihren Zielgruppen Produkte entwickeln wollen, eure Vorgehensweise empfehlen?

Für uns hat sich die ko-kreative Methode und der Prozess des Design-Thinkings auf jeden Fall bewährt. Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Gleichzeitig waren wir uns auch von Anfang an bewusst, dass solch ein kreativer Entwicklungsprozess mit Dritten nicht komplett steuerbar ist und der Ausgang des Ganzen über einen langen Zeitraum relativ offenbleiben kann. Wir hatten von den Projektauftraggebern sehr viel Spielraum in Bezug auf das Thema und Aussehen des neuen Kita-Angebots. Dazu passt Design-Thinking wunderbar, weil man seine Ursprungsannahmen über das Problem, das das Produkt lösen soll, noch mal in Frage stellen kann. Wir hatten zum Beispiel angenommen, es sei herausfordernd, Veränderungen anzustoßen, wenn in Kitas die Zeit knapp ist. Es war Teil des Prozesses, diese These nochmal zu überprüfen und sich auch zu irren und dann nochmal in ganz neue Richtungen einzuschlagen. Wir haben das Testen von Problemen, Ideen und Prototypen sehr ernst genommen. Wir hatten den Mut, uns dafür viel Zeit zu nehmen. Letztendlich hat das Testen unserer Annahmen und Produktideen genauso lange gedauert wie die Ideenentwicklung selbst. Man braucht also Zuversicht und Durchhaltevermögen für dieses kontinuierliche Überarbeiten – um immer näher daran heranzurücken, was die Zielgruppe wirklich gebrauchen kann. 

Jetzt sind wir schon mittendrin in den Erkenntnissen. Was empfiehlst du anderen, die auch mit ihrer Zielgruppe zusammenarbeiten möchten und ko-kreativ Angebote entwickeln wollen? Worauf sollten sie konkret achten? 

Ich würde mich zunächst fragen: Um welches Problem geht es hier eigentlich? Viele möchten ko-kreativ oder agil arbeiten. Aber dann höre ich oft heraus, dass die Leute eigentlich schon an eine konkrete Lösung denken. Und wenn man sich wirklich auf die Zielgruppe einlassen möchte, sollte man auch bereit sein mit der Zielgruppe über das Problem und nicht nur über die Lösung zu diskutieren – um festzustellen: Stellen wir hier überhaupt die richtige Frage? 

Grundsätzlich ist ko-kreatives Arbeiten mit der Zielgruppe eine Bereicherung, um den eigenen Elfenbeinturm zu verlassen. Also ein klares Plädoyer: Holt diejenigen ins Boot, die das Angebot nutzen sollen und – wenn möglich – auch angrenzende Zielgruppen für die Perspektivenvielfalt. Und setzt gleichzeitig auf Feedback von nicht-beteiligten Personen aus der Zielgruppe. Also plant genug Zeit ein für mehrfaches Testen. Denn Iteration ist alles! Stellt euch von vornherein darauf ein, euch nicht zu lange an einer Stelle aufzuhalten, bevor ihr die Zielgruppe das erste Mal fragt. Fangt so schnell wie möglich an, abzufragen, wie Menschen eure Vorstellungen und Ideen finden. Und das bedeutet auch: Viele Runden einplanen, um eure Problemanalyse, eure Produktideen und eure gebastelten Prototypen immer wieder zu überarbeiten und auch im nicht perfekten Zustand zu präsentieren. Wir haben es im Kita-Lab oft erlebt, dass Ansätze von der Kita-Praxis als unpraktisch oder sinnlos abgestraft wurden, von denen wir dachten, sie hätten viel Potenzial. So haben wir uns Stück für Stück der Idee angenähert, die leuchtende Augen bei unseren Tester:innen hervorruft.

Unser Hauptprodukt fokussiert die Frage: Wie können Kita-Teams ihre Stärken erkennen und für die Kita-Entwicklung nutzen. Auf dieses Thema hat uns eine Kita-Leiterin gebracht.

Marie Siegling

Enden möchte ich mit einem zwischenmenschlichen Learning: Man kann nicht nur nehmen, sondern muss auch geben! Wir haben im Kita-Lab zwar auch online zusammengearbeitet, aber die Teilnehmer:innen zu den zwei wichtigsten Workshops im ersten Halbjahr zu uns nach Berlin eingeladen – mit Anreise, Hotelübernachtung, schönen Workshop-Räumlichkeiten, Catering etc. In Präsenz baut man Bindung auf und bekommt auch die besseren Ergebnisse. Zudem waren die Design-Thinking-Workshops in Berlin eine Form von Wertschätzung, die bei der sonst eher Mangel gewohnten pädagogischen Zielgruppe sehr gut ankam und wirklich als Highlight und willkommene Abwechslung zu ihrem Alltag gesehen wurde. Selbst wenn das in dieser Form nicht in jedem Projekt möglich ist, muss man bei der Planung immer mitdenken: Was können wir den Menschen, die sich für uns engagieren, als Anerkennung zurückgeben?

Kannst du schon verraten, was für ein Produkt aus dem Kita-Lab auf den Markt kommen wird? 

Unser Hauptprodukt fokussiert die Frage: Wie können Kita-Teams ihre Stärken erkennen und für die Kita-Entwicklung nutzen. Auf dieses Thema hat uns ein inspirierendes Zielgruppeninterview mit einer Kita-Leiterin gebracht. Sie hat uns damit begeistert, dass in jeder Person und in jeder Kita ein Schatz an Stärken und Ressourcen steckt, den es zu bergen lohnt. Und die Produktidee, die daraus entstanden ist, hat in der Praxis einen echten Nerv getroffen. Die Methoden und Impulse unserer Stärkenbox unterstützen Kita-Teams, ihre individuellen und Team-Stärken zu entdecken und diese für die Weiterentwicklung ihrer Kita einzusetzen. Dieser Fokus auf Positives wurde uns von der Kita-Praxis als echter Gewinn und Motivations-Booster für Veränderungsprozesse gespiegelt.

Spannend. Ab wann können Kitas das Stärkenmaterial nutzen?

Wenn alles klappt, veröffentlichen wir im späten Frühjahr 2025 eine haptische Stärkenbox für Kita-Teams im Stiftungsshop und ein digitales Pendant als Methodensammlung auf unserem Online-Campus.

Portrait von Jasmin Hihat
Autor/in: Jasmin Hihat

Kinder sollen die bestmögliche Bildung erhalten und in einem resilienten Umfeld stark werden! Deshalb freue ich mich, als Kommunikationsreferentin im Bereich Kita-Projekte dabei mitzuhelfen, Deutschlands Erzieher:innen bei ihrer persönlichen und pädagogisch-fachlichen Weiterentwicklung zu unterstützen.

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Portrait von Marie Siegling
Autor/in: Marie Siegling

Ich wünsche mir für alle Kinder Bildungsorte, an denen sie ihre Talente und Potentiale frei entfalten können. Als Referentin für Inhalte und Organisationsentwicklung ist es mein Ziel, mit Empathie und Erfinderinnen-Geist Angebote zu entwickeln, die Kita-Teams stärken solche Bildungsorte zu erschaffen.

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