"Jetzt gehen wir raus in die Welt"
Aus der Stiftung "Haus der kleinen Forscher" wird die Stiftung Kinder forschen. Hinter der Umbenennung der Bildungsstiftung steckt ein aufmerksamer Umgang mit den Veränderungen, die die Bildungslandschaft, die Gesellschaft und vor allem auch die Kindheit betreffen. Im Interview erläutern die Vorständin Angelika Dinges und der Vorstandsvorsitzende Michael Fritz, was es mit dem neuen Namen auf sich hat.
Es heißt jetzt nicht mehr Vorstandsvorsitzender und Vorständin der Stiftung "Haus der kleinen Forscher", sondern der Stiftung Kinder forschen. Wie fühlt sich das an?
Michael Fritz: Seit der Gründung steht für uns das Kind im Mittelpunkt unserer pädagogischen Arbeit: Und jetzt sogar buchstäblich mit dem Namen Stiftung Kinder forschen. Daher fühle ich mich wirklich gut mit dem neuen Namen und kann mich absolut damit identifizieren.
Angelika Dinges: Der neue Name stärkt unsere klare und bleibende Grundüberzeugung: Alle Kinder haben ein Recht auf gute frühe MINT-Bildung für nachhaltige Entwicklung, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion und Einkommen der Eltern. Und genau das bringt der Name Stiftung Kinder forschen noch stärker zum Ausdruck. Deswegen ist für mich der neue Name absolut passend.
Und: In einen Namen wächst man auch hinein. Wir sind durch einen sehr professionellen und sorgsamen Markenfindungsprozess gegangen und befinden uns noch immer mitten im Prozess eines umfassenden Marken-Relaunchs, der ja nicht nur den Namen betrifft.
Was heißt das genau: Relaunch? Macht die Stiftung Kinder forschen jetzt etwas anderes als das "Haus der kleinen Forscher"?
Angelika Dinges: Nein, unser Kernauftrag und unsere Vision und Mission bleiben. Denn mit der frühen MINT-Bildung für nachhaltige Entwicklung treffen wir nach wie vor einen wesentlichen Bedarf unserer Gesellschaft. Und da kommt dann sofort ein ‚Aber‘ hinterher: Gleichzeitig hat sich seit dem Entstehen der Stiftung sehr viel verändert. Die Stiftung wurde 2006 mit dem Ziel gegründet, die alltägliche Begegnung mit Naturwissenschaften und Technik, insbesondere für Kinder im Elementar- und Primarbereich, zu fördern. Aus dieser Idee ist in den vergangenen 17 Jahren Deutschlands größte MINT-Fortbildungsinitiative mit einem bundesweiten Netzwerk von etwa 200 Partnern entstanden, die alle für die frühe MINT-Bildung für nachhaltige Entwicklung stehen und mit uns gemeinsam die Vision und Mission der Stiftung ins Leben bringen.
Über 86.000 pädagogische Fach- und Lehrkräfte wurden bisher weitergebildet und 6.000 Bildungseinrichtungen zertifiziert. Dabei haben wir auch unsere Angebote den Bedarfen unserer Zielgruppe, den pädagogischen Fach-, Lehr- und Leitungskräften, entsprechend weiterentwickelt. Die Stiftung ist heute neben dem Kita- und Hortbereich auch in Grundschulen aktiv.
Michael Fritz: Den satzungsgemäßen Auftrag der MINT-Bildung haben wir dann erweitert auf MINT-Bildung für nachhaltige Entwicklung. Damit stehen wir für eine MINT-Bildung, die sich ihrer Verantwortung für den Menschen und den Planeten bewusst ist. In unserer Bildungsarbeit orientieren wir uns unter anderem an den globalen Nachhaltigkeitszielen, bekannt als 17 SDGs (Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen. Das bedeutet, wir verbinden MINT immer mit BNE und auch basalen Kompetenzen. Denn wir sehen immer wieder, dass die Beschäftigung mit MINT-Themen das Lesen und das Sprechen fördert – auch dazu haben wir Angebote.
Angelika Dinges: Nicht zuletzt hat die Stiftung in den letzten Jahren ihre Angebotsportfolie im Rahmen ihres Auftrags verbreitert und differenziert. Das sieht man u.a. an unserem Angebot zur ganzheitlichen Betrachtung und (Weiter-)Entwicklung der Kita als Organisation. Und daran, dass wir neben den Präsenzangeboten eine moderne digitale Lernplattform zur Verfügung stellen. Sowohl die Stiftung als auch unsere Netzwerkpartner bieten heute Fortbildungen in Präsenz und digital an und verbinden beides, wo es dem Lehr- und Lernprozess dient.
Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung sind wir heute ein gefragter Ansprechpartner und Mitgestalter in der frühen Bildung, zum Beispiel wenn es um die Qualität in der frühen Bildung geht, oder auch im Bereich Vernetzung und Kooperationen.
Diese Entwicklung der Stiftung, unser heutiger Beitrag und das konkrete Unterstützungsangebot soll auch in unserem Namen und in unserem Außenauftritt wiederzufinden sein.
Das ist viel Wandel für diese Zeitspanne. Welche Veränderungen im Bildungsbereich betreffen die Stiftung denn generell?
Michael Fritz: Unser Bildungssystem steckt in einer multiplen Krise. Eine veränderte Kindheit, die Folgen der Pandemie, Flucht und Migration, Inklusion und weitere Faktoren führen dazu, dass die normale Heterogenität von Kindern in einer Lerngruppe immer weiterwächst. Logisch, dass die Ansprüche an die pädagogischen Fach-, Lehr- und Leitungskräfte in Kitas, Horten und Grundschulen in den vergangenen zwei Jahrzehnten enorm gestiegen sind. Sprachförderung, MINT-Bildung – also Bildung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – oder Bildung in der digitalen Welt sind nur einige der Inhalte, die heute in den Kitas relevant sind.
Kinder benötigen – genauso wie wir Erwachsene – die entscheidende Fähigkeit, mit Veränderung konstruktiv umgehen zu können.
Michael Fritz, Vorstand der Stiftung Kinder forschen
Angelika Dinges: Zusätzlich hat sich der Fachkräftemangel in Bildungseinrichtungen in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschärft. Allein um den Bildungs- und Betreuungsbedarf in deutschen Kitas im Jahr 2023 abdecken zu können, müssten insgesamt 98.600 Fachkräfte eingestellt werden. Das bedeutet: Kita-Teams sind unterbesetzt, da Fachkräfte fehlen. In Grundschulen und Horten ist die Situation ähnlich dramatisch. Es braucht daher neue, kreative Lösungen für Fortbildungssituationen, die auf die Bedürfnisse der pädagogischen Fach-, Lehr und Leitungskräfte angepasst sind und sicher auch ganz neue Ideen, pädagogische Fach- Lehr- und Leitungskräfte bei der Erfüllung ihres Bildungsauftrages unbedingt zu unterstützen.
Ihr habt gesagt, das Kind stehe im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit. Kinder forschen. Warum ist diese forschende Herangehensweise an die Welt, an Bildung, an Wissen, so wichtig?
Michael Fritz: Kinder leben heute in einer anderen Welt als noch vor 10 oder 15 Jahren. Kindheit ist immer öfter und in immer kürzeren Zeitabständen von Transformationen und Krisen geprägt. Themen wie Digitalisierung, Klimawandel, Energiekrise, Pandemie oder Krieg bekommen natürlich auch Kinder mit. Und es ist zu erwarten, dass ihr ganzes künftiges Leben von ständigem Wandel gekennzeichnet sein wird. Mit unseren Bildungsangeboten unterstützen wir die pädagogischen Fach-, Lehr- und Leitungskräfte dabei, die Kinder in den Bildungseinrichtungen auf dieses Leben gut vorzubereiten, ihre Sorgen ernst zu nehmen und zugleich Wege aufzuzeigen, wie sie optimistisch auf die Welt blicken können.
Sie benötigen – genauso wie wir Erwachsene – die entscheidende Fähigkeit, mit Veränderung konstruktiv umgehen zu können. Sie sollen Antworten auf ihre Fragen finden und Selbstwirksamkeit erfahren, indem sie Einfluss haben und Dinge verändern können.
Wir als Stiftung sind Teil dieses Wandels und haben einen neuen Namen gewählt, der die Kinder und die gute frühe MINT-Bildung für nachhaltige Entwicklung noch stärker nach außen präsentiert.
Nochmal zurück zum Namen – das ist ja eine der prägnantesten Änderungen des Relaunchs: Das "Haus der kleinen Forscher" hat so schöne Assoziationen geweckt. Ist es nicht ein bisschen schade, dass es wegfällt?
Angelika Dinges: Das Haus hat lange sehr gut zu uns gepasst und wir sind natürlich auch etwas traurig, es loszulassen. Und wir tun es gleichzeitig mit voller Überzeugung und gehen raus in die Welt, mit all dem Neuen, das uns stetig erwartet. So wie Kinder zuversichtlich und neugierig in die Welt hinausgehen und alles Neue entdecken und erforschen.
Michael Fritz: Wie Angelika bereits sagte: Wir werden in den neuen Namen hineinwachsen und ja, ich glaube wir alle mochten den vorherigen Namen. Was mir gerade aber dabei hilft, nach vorne zu schauen, ist genau diese Assoziation mit dem Haus: Das Haus ist räumlich begrenzt, aber spannende Räume gibt es überall zu entdecken: Klar, in der Bildungseinrichtung selbst, aber auch im Garten, im Wald oder auch im digitalen Raum. Überall dort sind Kinder unterwegs und auch unsere Angebote sind daran ausgerichtet. Denn Kinder forschen – immer und überall. Wir wollen sie und auch die Erwachsenen, die sie begleiten, bestmöglich dabei unterstützen.