"Ein Gewinn an Lebensqualität"

Eine Lernbegleitung erforscht auf dem Schulhof mit vier Kindern im Grundschulalter ein Fahrrad. Gemeinsam betrachten sie die Frontleuchte des Rads.
© Christoph Wehrer / © Stiftung Kinder forschen
Eine Lernbegleitung erforscht mit vier Kindern ein Fahrrad.

Lebenswerte Straßen, ein ausgebauter öffentlicher Nahverkehr, mehr Rad- und Fußwege: Wie werden wir uns in Zukunft fortbewegen? Mobilitätsexperte Thorsten Koska ist Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Im Interview erklärt er, was wir brauchen, damit wir künftig nachhaltig unterwegs sein können, und warum die Sichtweise von Kindern dafür wichtig ist.

Was sind die größten Entwicklungen der Mobilität in Deutschland in den letzten Jahren?

Durch mehr Homeoffice und flexiblere Arbeitsmodelle hat sich der Personenverkehr verringert. Mobile Endgeräte ermöglichen es, Verkehrsmittel einfach zu buchen und Live-Auskünfte zu öffentlichen Verkehrsmitteln abzurufen. Dadurch nutzen mehr Menschen Bus, Bahn, Fahrrad und Carsharing, mit denen sie Wege ohne eigenes Auto zurücklegen. Auch die Elektromobilität ist eine zentrale Entwicklung. Sie kann zwar nicht die einzige Lösung für einen klimaschonenderen Verkehr sein, ist aber besonders in ländlichen Gebieten wichtig, wo viele Menschen auf Autos angewiesen sind.
 

Gibt es auch negative Entwicklungen in der Mobilität? 

Ja, z. B. den Trend, dass Autos immer größer werden. Sie nehmen mehr Platz auf der Straße weg und schränken die Sichtbarkeit anderer Verkehrsteilnehmender ein. Auch der weltweite Flugverkehr nimmt zu, etwa durch Lieferungen aus dem Onlinehandel. Hier gibt es noch keine nachhaltige Alternative für den klimaschädlichen Treibstoff.

"So, wie der Verkehr heute funktioniert, schränkt er Kinder ein."

Thorsten Koska
Porträt von Thorsten Koska
© Wuppertal Institut-W. Sondermann
Thorsten Koska

Was muss geschehen, damit alle Menschen – in der Stadt genau wie auf dem Land – nachhaltig unterwegs sein können?

Entscheidend dafür ist, dass sich der öffentliche Verkehr grundlegend verbessert, damit mehr Menschen auf das eigene Auto verzichten können. In ländlichen Gebieten müssen wir den Nahverkehr besser anbinden und ausbauen. Wir brauchen mehr Busse und Bahnen auf den Strecken. Gegen den Mangel an Fahrerinnen und Fahrern können künftig auch automatisch fahrende Fahrzeuge helfen. Vor allem aber muss der öffentliche Verkehr wieder verlässlicher werden. Sharing-Angebote sind notwendig, um verschiedene Verkehrsmittel zu verbinden. Im ländlichen Raum kann das nur durch öffentliche Förderungen gelingen. Zudem brauchen wir sichere und breite Radwegenetze für sämtliche Altersgruppen. Das bedeutet, bestehende Straßenräume umzuverteilen, damit Menschen zu Fuß oder auf dem Rad mehr Platz auf der Straße haben.

Warum ist Mobilität für Kinder mehr als nur Fortbewegung?

Mobilität ist für Kinder Selbstermächtigung. Doch so, wie der Verkehr heute funktioniert, schränkt er Kinder ein. Damit sich Kinder sicher und selbstständig bewegen können, brauchen wir verkehrsberuhigte Zonen, Tempolimits und einsehbare Straßenräume. Gerade Autos stellen für Kinder eine Barriere dar, über die sie nicht einfach hinwegsehen können. Es geht aber nicht nur um Autonomie. Können sich Kinder mehr bewegen und z. B. schon vor der Schule körperlich aktiv sein, steigert das auch ihre Lernfähigkeit.

Wie können Mädchen und Jungen lernen, sich selbstständig auf der Straße zu bewegen?

Eine Idee sind sogenannte Lauf- oder Fahrradbusse. Dabei geht eine Gruppe von Kindern mit einer Begleitperson gemeinsam zu Fuß oder fährt gemeinsam mit dem Rad zur Schule oder zur Kita. Kinder werden selbstständiger, da sie auf dem Weg zu Schule oder Kita nicht jeweils von einer Bezugsperson begleitet werden müssen oder im Auto bis vor die Tür gefahren werden. Pädagogische Fach- und Lehrkräfte können mit ihnen auch über Mobilität sprechen: Wo halten sie sich gerne auf? Wo fühlen sie sich im Verkehr unsicher? Kinder sind kreativ und können ihre Ideen teilen, wie die Straße für sie sicherer gestaltet werden kann.

"Die Perspektive von Kindern ist entscheidend für eine kinderfreundliche und nachhaltige Mobilität."

Thorsten Koska

Welche Schritte sind notwendig, um eine nachhaltige Mobilität zu stärken, die auch kindgerecht ist?

Wir brauchen dafür eine strategische Planung, die klarmacht, wie Mobilität in 20 oder 30 Jahren aussehen soll. Auf Bundesebene fehlt dies bisher. Auf kommunaler Ebene gibt es nachhaltige Stadtverkehrspläne, die eine weitsichtige Planung, Nachhaltigkeit und Partizipation in den Mittelpunkt stellen. Kommunen müssen ein zusammenhängendes Netz an Fuß- und Radwegen kindgerecht ausbauen. Dazu gehören verbesserte Ampelschaltungen und Straßenquerungen, an denen Autos abbremsen müssen. Und zwar überall da, wo sich Kinder aufhalten, insbesondere rund um Kitas, Schulen und Wohnquartiere. Ihre Perspektive ist entscheidend für eine kinderfreundliche und nachhaltige Mobilität.

Was sind Ihre Hoffnungen für die Mobilität der Zukunft?

Ich hoffe auf leisere, sicherere und lebenswertere Straßen. Weniger Leute sind auf ein eigenes Auto angewiesen, da es verlässliche öffentliche Verkehrsmittel gibt. So entstehen verkehrsberuhigte Viertel, um die der Verkehr möglichst herumgeleitet wird. In diesen gibt es mehr Platz für Menschen, die zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren. Kinder und Erwachsene können sich auf der Straße aufhalten und auf Bänken oder in Straßencafés sitzen. Wenn Menschen das erleben, kann sich ihr Bewusstsein wandeln: Sie merken, dass Verkehrswende nicht Verbote bedeutet, sondern einen Gewinn an Lebensqualität.

"Forscht mit!" zum Thema "Energie bewegt!"

© habybucko /© istock.com

Wir Menschen bewegen uns ständig von A nach B – mit Bus, Zug, Auto, Straßenbahn, Flugzeug oder Fahrrad bzw. Laufrad. Autos z. B. brauchen Treibstoff oder Strom, um zu fahren. Zum Fahrradfahren benötigen wir Körperkraft, bei E-Bikes erleichtert uns Strom die Anstrengung. 
Diese Ausgabe der "Forscht mit!" beschäftigt sich mit Energie und Mobilität. Die Mädchen und Jungen können Boote konstruieren und beobachten, wie diese geformt sein müssen, um unterschiedliche Dinge zu transportieren. Damit sie verstehen, wie aus Strom Bewegung wird, bauen sie einen kleinen Elektromotor. Sie entdecken nicht nur das Konzept der 15-Minuten-Stadt, sondern auch, wofür es Regeln im Verkehr braucht. In diesem Heft erwarten dich vielfältige Forschungsideen und Impulse für deinen Praxisalltag.
 

Zur Ausgabe
Portrait von Marie Reichel
Autor/in: Marie Reichel

Gute frühe Bildung für alle Kinder! Dafür setze ich mich als Volontärin Presse und Public Affairs bei der Stiftung Kinder forschen ein. Ich arbeite daran, frühe MINT-Bildung für nachhaltige Entwicklung sichtbarer zu machen, denn ich bin überzeugt: Sie stärkt Kinder darin, neugierig zu sein, Selbstwirksamkeit zu erleben und Lösungen zu finden.

Alle Artikel von Marie Reichel