"Diversität ist auf allen Ebenen ein Gewinn."

Kinder entdecken mit einer Erzieherin und einer Lupe das Hochbeet
© Christoph Wehrer/Stiftung Kinder forschen
Hat einen Blick fürs Detail: Dr. Theresa Finkl.

Seit 2019 gibt es eine Schwerbehindertenvertretung (SBV) in der Stiftung "Haus der kleinen Forscher". Dr. Theresa Finkl ist seitdem im Amt, mit ihr sind Kecia Holtzendorff und Elisabeth Aimer aktiv. Im Interview erzählt Theresa Finkl, warum ihr Engagement wichtig ist und warum es für alle gut ist, sich für Inklusion einzusetzen.

Warum ist eine SBV wichtig?

Wenn es die Schwerbehindertenvertretung nicht gäbe, wäre das Thema Inklusion nicht so präsent und schwerbehinderte bzw. ihnen gleichgestellte Menschen hätten keine Interessensvertretung, die sich explizit um das Thema Schwerbehindertenrecht kümmert. Zum Glück ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass es in Betrieben und Dienststellen mit mindestens fünf nicht nur vorübergehend beschäftigten schwerbehinderten Menschen eine SBV geben muss.

Zwar sind bei uns in der Stiftung nur wenige Menschen selbst schwerbehindert oder gleichgestellt, aber die Themen und unser Umgang damit betreffen uns alle. Und es ist nun mal so, dass wir Dinge, die uns selbst nicht direkt betreffen, häufig nicht oder kaum wahrnehmen. Dabei ist das Unsichtbare so präsent.

Das klingt wie ein Widerspruch.

Ja, aber ich glaube, das trifft es ganz gut. Bei uns im Kollegium nimmt man die meisten Mitarbeitenden mit Schwerbehinderung im Arbeitsalltag gar nicht wahr. Das kann so sein, weil für die betroffene Person alles okay ist, aber es kann auch bedeuten, dass sie sich nicht sicher genug fühlt, um darüber zu sprechen. Und dann heißt das für mich: Das Thema hat noch nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen und wir müssen es bearbeiten. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Erkrankung als solche nur einen Teil des Leidensdrucks bedingt und alles was damit einhergeht an emotionaler Last, Sorge, Bürokratie etc. manchmal sogar als belastender empfunden wird. Und das ist genau der Hebel, an dem wir ansetzen können. 

Beratung und Unterstützung

Was macht eine Schwerbehindertenvertretung?

In erster Linie sind wir gewählte Vertrauenspersonen und Ansprechpartner:innen für unsere schwerbehinderten und gleichgestellten Kolleg:innen. Wir unterstützen sie z. B. bei Antragstellungen, in Gesprächen mit ihrer Führungskraft oder bei sonstigen Fragen rund um das Arbeiten mit Schwerbehinderung. Der Betriebsrat ist ja für alle Mitarbeitenden da, aber es gibt Themen, die nur diese Gruppe von Menschen betreffen, für die es spezielle Regelungen und Gesetzesvorgaben gibt. Es ist wichtig darauf zu achten, dass diese umgesetzt werden.

Woher weißt du diese Dinge?

Das ist nichts, was man einfach so weiß. Wir haben extra Weiterbildungen zu den juristischen Grundlagen im Arbeits- und Sozialrecht besucht. Und dann gibt es auch noch viele unterschiedliche Spezialthemen wie z.B. Gesprächsführung, Datenschutz oder Antragstellung. Nur wenn ich mich regelmäßig weiterbilde, kann ich den schwerbehinderten oder gleichgestellten Kolleg:innen die für sie relevanten Informationen weitergeben, sie beraten und unterstützen – und auch gegenüber dem Arbeitgeber für ihre Rechte eintreten.

Es ist toll, dass Menschen bei uns in der Stiftung offen divers sein können, da haben wir anderen etwas voraus, ich schaue aber auch gerne dahin, wo noch Luft nach oben ist.

Dr. Theresa Finkl

Das klingt nach viel Arbeit. Warum ist dir das Thema so wichtig?

Weil ich der Überzeugung bin, dass es uns allen, als Privatpersonen, als Stiftung und auch als Gesellschaft, guttut, Diversität in all ihren Facetten zuzulassen, als Gewinn zu schätzen und voneinander zu lernen. Außerdem passt das Thema Inklusion wunderbar zu einem weiteren Thema, das mir sehr wichtig ist, nämlich Nachhaltigkeit. Das Ziel 10 der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele sieht vor, Ungleichheiten zu reduzieren.

Diese sozialen Aspekte in der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen sind ebenso wichtig wie z. B. ökologische. Es ist toll, dass Menschen bei uns in der Stiftung offen divers sein können, da haben wir anderen etwas voraus, ich schaue aber auch gerne dahin, wo noch Luft nach oben ist. Wie lässt sich die Arbeitssituation für schwerbehinderte oder gleichgestellte Kolleg:innen konkret verbessern? Gibt es Hürden, die wir abbauen können?  Das ist innerhalb der Stiftung und auch gesellschaftlich ein wichtiges Thema, für das ich mich gern einsetze. Und wenn ich ganz konkret Menschen helfen kann und wir zusammen was erreichen, ist das sehr erfüllend.

Gegen welche Widerstände musst du denn in der Stiftung ankämpfen?

Zum Glück gibt es keine krassen Widerstände bei uns. Die Grundhaltung der Mitarbeitenden ist offen und positiv und die Prozesse sind mittlerweile gut etabliert. Die Stiftung ist da sehr weit, auch schon vor Gründung der SBV. Eine Herausforderung ist aber, wahrgenommen zu werden als eigene, vom Betriebsrat unabhängige Mitarbeitendenvertretung, die nur einen Teil der Kolleg:innen vertritt, aber nicht weniger wichtig ist.

Mir persönlich liegt am Herzen, dass ein Umdenken stattfindet: weg von individuellen Defiziten hin zu kollektiven Stärken und einem Voneinanderlernen, also Teilhabe und Teilgabe. Denn auch wenn Änderungen oder Maßnahmen auf den ersten Blick nur einer Person helfen, so kann sich diese Maßnahme doch für alle lohnen. Ein ganz simples Beispiel ist eine gute Gesprächskultur, in der man sich zuhört und ausreden lässt – das hilft Menschen mit einer Höreinschränkung und dient ganz allgemein einem wertschätzenden und guten Miteinander.

Sensibilisierung und Information

Wie hat dich dein Engagement in der SBV persönlich vorangebracht?

Ich nehme Barrieren eher wahr und bin sensibler geworden in Bezug auf unsichtbare Hindernisse. Auch zum Thema Neurodiversität und unserem Umgang damit habe ich viel gelernt. Wir alle erleben Situationen ganz unterschiedlich und was für mich z. B. im Arbeitsalltag völlig unproblematisch scheint, kann für andere eine extreme Herausforderung sein. So etwas konkret mitzuerleben und nicht nur in der Theorie zu wissen, hilft sehr dabei, Arbeitsplätze und -umgebung so zu gestalten, dass alle sich wohlfühlen und gut arbeiten können. Und natürlich wirkt sich das auch auf meine Wahrnehmung außerhalb des Arbeitsalltags aus.

Was ist derzeit ein großes Thema in der SBV?

Immer wieder treibt Mitarbeitende die Frage um, ob und wie sie ihre Erkrankung bzw. Schwerbehinderung kommunizieren sollen, weil sie befürchten, vielleicht doch Nachteile zu erleiden. Das zeigt uns, dass wir mit unserer Arbeitskultur – trotz allem, was bereits gut läuft – noch nicht an dem Punkt sind, an dem sich Menschen trauen, offen mit ihrer Schwerbehinderung oder Erkrankung umzugehen. Natürlich muss das niemand offenlegen und es gibt andere Gründe, nicht darüber zu sprechen, aber diese Entscheidung sollte nicht von der Angst vor Diskriminierung beeinflusst sein.

Welches Ziel verfolgt ihr in absehbarer Zeit?

Wir erarbeiten gerade gemeinsam mit den Inklusionsbeauftragten, dem Betriebsrat und dem Vorstand eine Inklusionsvereinbarung für die Stiftung. Außerdem spielt das Thema Sensibilisierung und Information im Kollegium eine wichtige Rolle für die nächste Zeit.

Die Schwerbehindertenvertretung und ihre Aufgaben

Nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) nehmen die Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung, d.h. die Vertrauensperson und ggf. ihre Stellvertretungen, die Aufgabe wahr, sich um die Anliegen der schwerbehinderten Beschäftigten im Betrieb zu kümmern. Daneben sind sie auch Ansprechpartner:innen und Beratende für den Arbeitgeber, dessen Inklusionsbeauftragte, den Betriebs- oder Personalrat, das Inklusionsamt und andere Institutionen in allen Fragen rund um die Beschäftigung ihrer schwerbehinderten Kolleg:innen. Das erfordert neben den fachlichen Kompetenzen vor allem Verhandlungsgeschick, Geduld und Zeit.

Der Betriebs- beziehungsweise Personalrat haben unabhängig
von der Schwerbehindertenvertretung eine eigene gesetzliche Verpflichtung zur Förderung
der Eingliederung schwerbehinderter Menschen. Diese Aufgabe ergibt sich aus § 80 Absatz 1 Nummer 4 BetrVG, § 68 Absatz 1 Nummer 4 BPersVG und den entsprechenden Vorschriften der Personalvertretungsgesetze der Länder beziehungsweise Mitarbeitervertretungsgesetze.

Die Interessenvertretungen haben die allgemeine Aufgabe, darüber zu wachen, dass der Arbeitgeber seine Verpflichtungen erfüllt.

Ausführliche Informationen zur SBV findet ihr hier: https://www.betriebsrat.com/gesetze/sgb-9/178 oder auch hier: https://www.ifb.de/wissen/schwerbehindertenvertretung

Portrait von Mareike Mittelbach
Autor/in: Mareike Mittelbach

Ich bin Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in den Netzwerken bei der Stiftung Kinder forschen. Mein Lieblingsnetzwerk verbindet Menschen mit einer großartigen pädagogischen Sicht auf die Kinder und die Welt. Ich bin ein riesiger Fan jedes begeisterten Pädagogen und jeder begeisterten Pädagogin und liebe es, all ihre spannenden Geschichten von Forschungs- und Entdeckungsreisen, großen und kleinen Erkenntnissen zu erzählen.

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