Das große "Ah!" und "Oh!" des Entdeckens und Forschens
Wie kann man Kita-Teams noch besser dabei unterstützen, das entdeckende und forschende Lernen im Kita-Alltag zu verankern? Um verschiedene Ansätze zu erproben, startete die Stiftung "Haus der kleinen Forscher" mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahr 2020 eine Modellphase für ein neues, zweijähriges Kita-Programm namens "KiQ – gemeinsam für Kita-Qualität: Wenn Entdecken und Forschen zum Alltag werden". Trotz pandemischer Herausforderungen sind noch 83 Kitas aus vier Modellregionen Deutschlands mit dabei. Zu verdanken haben wir dies unter anderem unseren engagierten Prozessbegleiterinnen, die den "KiQ"-Kitas seit Programmbeginn zur Seite stehen und sie bei ihren Veränderungsprozessen eng begleiten.
Zwei von ihnen sind Frauke Puttfarken und Rita Möller. Sie unterstützen die 25 "KiQ"-Kitas aus Hamburg. Im Gespräch mit mir haben beide mit anschaulichen Praxisbeispielen berichtet, wie ein Veränderungsprozess hin zu einer entdeckend-forschenden Kita aussehen kann, warum es beim Entdecken und Forschen mit Kindern im Kindergartenalter vor allem um Lebensfreude geht und auch scheinbares Chaos wertvolle Forscheranlässe bietet.
(Im Folgenden können Sie Ausschnitte aus dem aufgezeichneten Interview nachlesen. Die transkribierte Textfassung wurde zum besseren Verständnis leicht redigiert und deutlich gekürzt. Viel Spaß und Inspiration!)
Jasmin Hihat: Wie kann ich mir einen Veränderungsprozess in einer Kita und eine Haltung im Sinne des entdeckenden und forschenden Lernens praktisch vorstellen?
Frauke Puttfarken: Das sind gar nicht so die großen Veränderungen, das ist sehr, sehr kleinteilig. Das, was wir hier mit Haltung meinen, ist das Erkennen, dass schon ganz, ganz viel entdeckt und geforscht wird in den Kitas in Alltagssituationen, dass ein Kind, das zum 150. Mal die Treppe drei Stufen hoch und wieder runterläuft, etwas dabei entdeckt und lernt. Also diese Haltung, wenn Fachkräfte erkennen: "Wir machen da schon ganz viel und wir machen das gut!" – und sich dann von diesem Punkt weiterzuentwickeln. Und es ist nicht nur so, dass wir sagen: Wir streichen die Kita neu oder räumen mal auf. Sondern auch zu sagen: Wenn ein Glas umkippt beim Mittagessen – dann wischen wir das nicht immer sofort auf, sondern geben dem mal eine Minute mehr. Damit die Kinder da mal reinpatschen können. Da sie auch in solchen Situationen eben sehr viel zu den MINT-Themen entdecken und forschen.
Rita Möller: Also bei mir ist bei einer Fachkraft kürzlich eine ähnliche Situation hochgeploppt beim Mittagessen. Sie hatte die Wertehaltung im Mittelpunkt: Wir spielen nicht mit Essen! So sind wir erzogen worden. Beim Entdecken und Forschen interagiert man aber mit Altersgruppen, die Essen auch entdecken und kennenlernen wollen, auf unterschiedliche Art und Weise. Und was das Schöne ist: Da merkt man den Veränderungsprozess! Jetzt sagt die pädagogische Fachkraft: "Ich habe meine Haltung reflektiert und kann sagen: Ich persönlich nehme jetzt wahr, dass Entdecken und Forschen auch beim Essen stattfindet. Und ich kann es zulassen! Ich kann es beobachten, ich kann es unterstützen, ich kann es auch mal umlenken, wenn es gerade nicht so passt von der Situation. Aber, ich habe einen Begriff dafür: Es ist Entdecken! Früher war es für mich: Das Kind spielt damit – und Spielen mit Essen geht nicht!" Aber dass das Entdecken und Forschen ist, war für sie das Schlüsselerlebnis. Begrifflichkeit hat für sie dann persönlich dieses Entdecken und Forschen verändert.
Frauke Puttfarken: Wir haben auch noch ein ganz schönes Beispiel, was wir neulich gehört haben von einer Fachkraft, die Vorbereitungszeit hatte und ein kleines dreijähriges Kind neben sich sitzen hatte, das unbedingt ins Büro dazukommen wollte. "Na gut, dann bleib halt neben mir sitzen", meinte sie. Und das Kind hat dann halt mit Wachsstiften gemalt. Und irgendwann hört die Fachkraft, wie das Kind sagt: "Oh!". Normal hätte sie das nicht gehört, normal hätte sie das nicht aufgegriffen. Doch in dem Moment hat sie selber reflektiert: "Aha! Hier passiert gerade etwas bei dem Kind. Das Kind entdeckt gerade etwas." Durch dieses kleine "Oh!" Und sie hat sich dem Kind zugewandt und hat das Kind bei dieser kurzen Sequenz – das war sicherlich nicht lang – begleitet. Das Kind hatte festgestellt, dass ein weißer Wachsmalstift auf weißem Papier nicht sichtbar ist. Für jemanden, der das noch nicht weiß, ist das eine große Entdeckung. Und das legt ja das Fundament für weitere Entdeckungen und vor allem für das Forschen. Nach der Geschichte, haben Rita und ich beide über das ganze Gesicht gestrahlt. Denn das ist es ja unter anderem, was wir mit "KiQ" erreichen wollen: diese Achtsamkeit für das, was das Kind gerade macht, die Orientierung am Kind: Spielt es oder ist es tatsächlich eine Entdeckung, die das Kind gerade macht?
Wir vermitteln hier ja keine Atomphysik. Mathe findet schon im Morgenkreis statt!
Frauke Puttfarken, Prozessbegleiterin im Modellprogramm "KiQ - gemeinsam für Kita-Qualität" (2020-2022)
Rita Möller: Hier würde ich noch einmal gern auf den Prozess eingehen. Wir haben ja als Prozessbegleiterinnen versucht, in jeder Kita das gesamte Team mitzunehmen. Mit Methoden wie Lernkurven- und Biografiearbeit mit Aufstellungen haben wir es jedem Teammitglied ermöglichen wollen, unterschiedliche Teilschritte zu gehen. Und diese Veränderungen haben wir sichtbar gemacht, um dann zu fragen: Was stört dich noch? Was brauchst du, um den nächsten Schritt zu gehen? Damit jeder im Team das Gefühl hat: Ich werde ernst genommen in dem Veränderungsprozess und ich darf auch meine Fragen und kritischen Gedankengänge transportieren.
Frauke Puttfarken: Es ist ja auch keine Atomphysik, die wir da anstreben bei "KiQ", sondern wir zeigen, dass Mathe zum Beispiel ja schon im Morgenkreis stattfindet. "Wie viele Kinder sind da?" ist eine mathematische Fragestellung, die passiert jeden Tag in der Kita. Und: "Wie viele Teller brauchen wir beim Mittagessen?" All das ist ja schon Mathe, so wie wir es verstehen. Von daher ist es auch wichtig, die Angst zu nehmen vor den Triggerthemen, die man so aus der eigenen Kindheit vielleicht kennt. Und, wie Rita schon sagte, auch den Raum für Erfahrungsaustausch aufzumachen – für mehr Verständnis untereinander. Es ist wichtig anzuerkennen: Keiner muss sich verbiegen! Das macht viel aus. Und da liegt auch sehr viel Potenzial in der Kommunikation im Team.
Jasmin Hihat: Gibt es auch ganze Forschungsprojekte, die sich in den "KiQ"-Kitas im Rahmen des Programmverlaufs entwickelt haben? Ich habe in Erinnerung, dass es dieses "Tomati"-Projekt gab.
Rita Möller: Ja, das war bei mir in einer Kita. Das war ganz spannend, dass sie die Tomate in den Fokus genommen haben – alles, was man mit einer Tomate machen kann. Die Kinder sind aufmerksam geworden auf die Pflanze, die in ihrem Gruppenraum auf einem Fensterbrett aufgesetzt wurde. Sie haben beobachtet, wie sie aussieht, sie haben sie gefühlt, sie haben sie geschmeckt. Jeden Tag sind die Kinder hingegangen und haben Veränderungen wahrgenommen. Und sie haben die Verantwortung für die Pflanze übernommen: "Ja, ich gieße sie. Sie darf nicht zu trocken werden." Forscherfragen entstanden wie: Darf die Sonne da überhaupt so grell draufscheinen? Sie haben sich jeden Tag neu damit beschäftigt. Und so ist auch die Handpuppe "Tomati" entstanden. Tomati hat im Morgenkreis noch Geschichten über Tomaten erzählt und mit ihnen über Tomaten gesungen, was diese ausmacht.
Rita Möller: Und das ist dann soweit gegangen – das ist ganz witzig –, dass die Eltern zuhause geschaut haben, wenn sie einkaufen waren, was alles aus Tomaten ist. Denn das "mussten" sie alles in die Kita bringen! Was spannend war: Die Tomaten in der Kita sind nicht rot geworden. Sie sind grün geblieben. Aber einige Fachkräfte wussten: Wenn man sie jetzt irgendwo lagert, verändert sich die Farbe. Und dann haben sie das den Kindern angeboten: "Komm, wir werfen die jetzt noch nicht weg. Da kann noch vielleicht was draus werden!" Die einen haben gesagt: "Wir nehmen die Kerne, die drin sind, und pflanzen sie wieder ein." Die anderen haben gesagt, wir wickeln die Tomaten in Papier ein. Und dann haben sie beobachtet, dass sich die Tomaten tatsächlich nach einiger Zeit verfärbt haben. Es war ein längerer Prozess!
Jasmin Hihat: Das ist ja schon ein richtiges naturwissenschaftliches Experiment!
Rita Möller: Ja! Und die Tomaten sind dann später im Hochbeet gelandet.
Jasmin Hihat: Frauke, hast du auch ein Kita-Projekt im Kopf, an das du dich besonders erinnerst?
Frauke Puttfarken: Es passiert unfassbar viel zum Entdecken und Forschen! Ich habe eine Lieblingsgeschichte. Es ist zu herrlich! Es ist eher eine Geschichte, wo es eher um Haltung geht, darum Chaos auszuhalten. Da hatten Fachkräfte vorbereitet, aus Luftballons Dino-Eier zu verarbeiten. Und den Kindern hatten sie noch versprochen: "Es gibt noch eine tolle Überraschung!" Sie haben Strukturmasse warm gemacht und diese auf die Luftballons drauf gemacht. Und die sind natürlich von der heißen Masse explodiert. Und das komplette Chaos ist ausgebrochen! Die Strukturmasse war überall: an den frisch gestrichenen Wänden und auch die Kinder waren von Kopf bis Fuß voll mit dem Material! Und die Kinder dachten: Das ist die Überraschung, die ihnen die Fachkräfte versprochen hatten. Und die saßen nur da und dachten "Oh Gott, was ist da gerade passiert? Na egal, Schwamm drüber!" und haben sich mit den Kindern scheckig gelacht. Und das ging dann so weit, dass beim Saubermachen die Strukturmasse auch in den Abfluss gekommen ist und diesen verstopft hat. Es brach überall das Chaos aus. Aber für die Kinder war das das Highlight! Und die haben natürlich super viel gelernt über: Kann man heiße Masse auf einen Luftballon kleben? Und was passiert eigentlich, wenn der Ausfluss verstopft? All diese Geschichten.
Das ist jetzt nicht das große Projekt – von denen gibt es natürlich auch Massen zu berichten. Aber ich mag einfach diese Chaos-Geschichten, wo es einfach mal okay ist, wenn die Fachkräfte keine Ahnung haben. Und wenn Sachen passieren, die so nicht geplant waren, und es ist okay. Und dass dann mit den Kindern aufzulösen: "Ups, das war so nicht gedacht!" Das ist auch ein schönes Signal an die Kinder.
Wenn wir wieder in die Rolle des Kindes zurückgehen, können wir jeden Tag etwas Neues entdecken und uns daran erfreuen!
Rita Möller, Prozessbegleiterin im Kita-Modellprogramm "KiQ"
Jasmin Hihat: Zum Abschluss würde ich Euch bitten, Kita-Teams da draußen Tipps für den Start zu geben, allen, die jetzt vielleicht Lust bekommen haben, sich bewusster mit entdeckendem und forschendem Lernen mit ihren Kindern auseinanderzusetzen.
Frauke Puttfarken: Ich empfehle als Ausgangspunkt gerne die Webseite vom "Haus der kleinen Forscher", auf der Forscherideen und Experimente aufgelistet sind. Nach Themengebieten kann man filtern. Zu Erdanziehungskraft und zu Fliehkraft gibt es da Sachen, zu Klängen, zu allem Möglichen, auch die "Rosinendisko" wird dort erklärt. Und danach hilft ein ergebnisoffenes Herangehen. Einfach den Kindern folgen und gucken, was passiert, ohne zu groß einen eigenen Plan zu verfolgen. Denn die Fragen der Kinder sind häufig ganz anders gelagert als man denkt.
Rita Möller: Also, ich finde es erst einmal wunderbar, dass sie Lust haben, weil dann ist die Neugier geweckt! Und wenn die Neugier da ist, entsteht auch Lebensfreude. Die Lebensfreude beim Entdecken und Forschen bleibt immer bei uns – als ob wir Kinder sind! Wenn wir wieder in die Rolle des Kindes zurückgehen, können wir jeden Tag – jede Minute teilweise – etwas Neues entdecken und uns daran erfreuen! Und wenn wir diese Freude in den Alltag in den Elementarbereich bringen, dann haben die Fachkräfte schon sehr viel gemacht und sagen: "Ja, ich glaube, ich bin auf einem guten Weg!" Und wenn sie noch ein bisschen Zeit haben, dann können sie auch sagen: "Ok, es gibt auch viele Netzwerke [der Bildungsinitiative "Haus der kleinen Forscher"], da gibt es Fortbildungen, da kann ich mich anmelden und erlebe andere Fachkräfte, die auch Lust drauf haben." Und dann gemeinsam diese Lust größer werden lassen!