C. Katharina Spieß über die "Wunderwaffe Kita"
Prof. Dr. C. Katharina Spieß ist Direktorin des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). Seit vielen Jahren forscht die Ökonomin zu den Themen Bildung und Familie. Im Interview erklärt sie, was Kitas zur gesellschaftlichen „Wunderwaffe“ macht, an welchen Stellen sie mehr Ressourcen brauchen und warum sie Orte der Bildung sind.
Sie beschäftigen sich seit Langem mit der frühkindlichen Bildung. Hat die Pandemie etwas am Blick der Politik auf Kitas verändert?
Kitas wurden während der Pandemie überwiegend als reine Betreuungsorte betrachtet, die Eltern entlasten. Man hat wenig darüber diskutiert, dass Kitas wichtige Bildungsorte sind. Nur ein Beispiel: Kinder, die zu Hause kein Deutsch sprechen, brauchen die Kita, um es zu lernen. Das ist wichtig, damit sie im Vergleich zu den anderen keine schlechteren Startbedingungen in der Grundschule haben. Die Bildungsaspekte der Kita müssen immer wieder betont werden.
Sie empfehlen, auch grundsätzlich und abseits der Pandemie mehr als bisher neben der schulischen in die frühkindliche Bildung, also in Kitas, zu investieren. Warum?
Ich würde sogar sagen, dass wir noch früher anfangen müssen als in der Kita. Wir müssten auch in Programme für sozio-ökonomisch benachteiligte Familien investieren und z. B. noch mehr sehr gute Beratung für Schwangere oder junge Mütter anbieten. Wir wissen, dass es Auswirkungen auf die Entwicklung eines Kindes hat, ob sich Eltern und besonders Mütter, die immer noch die meiste Zeit mit Kindern verbringen, in ihrer Rolle wohlfühlen. Generell gilt: Ein Euro, den wir in eine qualitativ gute frühe Bildung investieren, hat eine höhere Rendite, als wenn wir diesen später investieren.
Ein Euro, den wir in eine qualitativ gute frühe Bildung investieren, hat eine höhere Rendite, als wenn wir diesen später investieren.
C. Katharina Spieß
Wie lässt sich messen, ob sich Investitionen im Bildungsbereich nachhaltig positiv auswirken?
Da gibt es viele Ansatzpunkte: Kurzfristig lassen sich die Auswirkungen messen, indem wir erfassen, wie viel mehr Mütter einer Berufstätigkeit nachgehen und dadurch höhere Steuern zahlen. Mittelfristig kann u. a. berechnet werden, was ein Kita-Besuch im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeitbringt, dass Schülerinnen und Schüler das Abitur machen. Wir können die Auswirkungen auch über Gesundheitsveränderungen bei Kindern und Jugendlichen untersuchen. Eine sehr gute Studie zu diesem Thema haben beispielsweise Ökonomen mit norwegischen Daten gemacht.
Zu welchem Ergebnis kommt diese Studie?
Im Grunde kann man von der „Wunderwaffe Kita“ sprechen. Norwegen hat mit dem Kita-Ausbau bereits in den 1970er-Jahren begonnen. Die Studie zeigt, wie vielfältig der Nutzen war, den dieser Ausbau mittel- bis langfristig dem Staat und der ganzen Gesellschaft gebracht hat. Zum Beispiel dass – bedingt durch den Kita-Ausbau – weniger Menschen später als Erwachsene staatliche Fürsorgeleistungen bezogen haben. Sogar der Gender-Pay-Gap, also die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, wurde bedingt durch den Kita-Ausbau in Norwegen kleiner.
Was in Deutschland schiefläuft
Investieren wir in Deutschland genug in die frühkindliche Bildung?
Ich denke nicht, dass wir das tun, und frage mich oft, warum das so ist. Wahrscheinlich weil sich der Erfolg in seiner Gänze erst viele Jahre später zeigt. Deshalb ist es für die Politik nicht so attraktiv, hier zu investieren wie in andere Bildungsbereiche, in denen kurzfristig höhere Renditen anfallen.
Fehlt da die ökonomische Perspektive, um zu wissen, wie viel Geld wann und wo investiert werden muss?
In der Ökonomie geht es ja nicht nur um Geld, sondern generell um die Verteilung begrenzter Ressourcen. Und das sind Ressourcen jeder Art wie Geld, Zeit oder Fähigkeiten. Die Ökonomie untersucht nicht nur, wie viel Geld eine Familie hat, sondern auch wie viel Zeit, um sie in ihre Kinder zu investieren. Es fehlt aber durchaus eine ökonomische Perspektive, die häufiger fragt, wie die begrenzten Ressourcen auch mittel- bis langfristig am effektivsten eingesetzt werden.
Es fehlt aber durchaus eine ökonomische Perspektive, die häufiger fragt, wie die begrenzten Ressourcen auch mittel- bis langfristig am effektivsten eingesetzt werden.
C. Katharina Spieß
An welchen Stellen brauchen Kitas aus Ihrer Sicht mehr Ressourcen?
Da gibt es viele Ansatzpunkte. Wir müssen z. B. mehr in die Aus- und Weiterbildung des pädagogischen Personals investieren und am Personalschlüssel arbeiten. Außerdem haben wir in diesem Bereich einen Fachkräftemangel. Das heißt, wir müssen den Beruf attraktiver machen. Zudem müssen auch Kitas den Weg zur Digitalisierung gehen. Das betrifft sowohl das Thema Fortbildung
als auch die Organisation der Einrichtungen und die Arbeit mit den Kindern.Wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir das Geld nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern gezielt schauen, welche Kitas mehr finanzielle Ressourcen brauchen als andere.
Wenn Sie ausreichend Geld in die Hand bekämen, wofür würden Sie es im Bildungsbereich ausgeben?
Ich würde neben den oben genannten Gebieten noch ein großes Programm für Kitas und die Familienarbeit aufsetzen, also im besten Fall in Zentren für Familien investieren, das heißt in Kinder und Eltern.
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Dieses Interview erschien in einer kürzeren Fassung erstmals in Ausgabe 2/2022 der Zeitschrift "Forscht mit!". Die dreht sich ganz und gar um das liebe Geld. Wir können es verdienen, ausgeben und sparen. Es lässt sich auch wunderbar anhäufen, scheffeln und darin schwimmen, aber ebenso verpulvern oder verbrennen. Zu diesem so alltäglichen Thema kann natürlich auch vortrefflich mit Kindern geforscht werden. Dazu möchten wir Sie mit diesem Heft einladen.
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