Die Frau mit dem Masterplan
Als Illustratorin für die Stiftung "Haus der kleinen Forscher" hat Ulli Keil in den vergangenen Jahren einige Spuren hinterlassen. Von ihr stammt nicht nur die farbenfrohe Bande aus Erwachsenen und Kindern, die durch die Fortbildungen zu Bildung für nachhaltige Entwicklung führen, sondern auch mehrere Wimmelbilder, unter anderem für die Stiftungszeitschrift "Forscht mit!". Im Interview erzählt die Berlinerin, worauf sie beim Zeichnen achtet, und warum sie die Arbeit für die Stiftung an ihre eigene Kindheit erinnert.
Wie bist du zum Illustrieren gekommen?
Mein erster Gedanke war, dass ich gerne zeichnen wollte. Das habe ich auch gemacht und Grafikdesign studiert. Weil das dann mehr in die angewandte Richtung gehen sollte, aber die Zeichnung mich doch nicht losgelassen hat, bin ich zum Trickfilm gekommen. Es gab ein kleines Projekt im Studiengang und da habe ich Feuer gefangen. Ich dachte: Ich muss Zeichnungen dazu bringen, sich zu bewegen, und das war dann eigentlich, was ich im Studium verfolgt habe. Als ich dann freiberuflich gearbeitet habe, gab es eigentlich mehr Illustrationsanfragen als Animationsanfragen, und so bin ich dann mehr oder weniger auf diesem Standbein gelandet.
Was ist dir beim Illustrieren wichtig?
Ich sehe meine Expertise, wenn man das so nennen kann, darin, dass ich Gefühle darstelle und eine Sentimentalität ins Bild bringe, die über den Inhalt hinausgeht. Das ist eigentlich bewusst oder unbewusst immer mein Ziel, und ich merke, dass ich erst dann zufrieden bin, wenn ich sehe, dass das im Bild eine Emotion ist. Ich habe mit einem gewissen Gefühl am Bild gearbeitet und ich sehe, dass es überspringt. Dass es Charaktere gibt in den Bildern, nicht nur Puppen oder Objekte, die irgendetwas ausüben, sondern dass es etwas Menschliches daran gibt. Meine Kunden merken das auch, selbst wenn sie sich dessen gar nicht bewusst sind.
Ich habe mit einem gewissen Gefühl am Bild gearbeitet und ich sehe, dass es überspringt.
Ulli Keil, Illustratorin
Schlägt sich das auch in deinem Arbeitsprozess nieder?
Wahrscheinlich auch eher unbewusst. Ich komme ja von der old-school Zeichenschule. Das heißt, ich zeichne sowieso immer und möglichst lange mit Stift auf Papier. Erst wenn es gar nicht mehr anders geht übertrage ich dann das Ganze ins Digitale und fange dann da an, herumzufriemeln. Sobald man nämlich ins Digitale wechselt, also in Photoshop anfängt mit der „Zurück“-Taste und den ganzen Optionen, wird man sehr pedantisch. Dann wird es irgendwann halt auch ein bisschen weniger lebendig.
Wie ist es, für das "Haus der kleinen Forscher" zu illustrieren?
Das "Haus der kleinen Forscher" bietet insofern eine sehr angenehme Arbeit, dass es sehr konkrete Briefings gibt. Ich werde erst einbezogen, wenn schon drei, vier, fünf Team-Meetings gelaufen sind, wo schon lange und heiß debattiert wurde, was zu sehen sein soll. Was ich dann noch beisteuern kann, ist meine Handschrift. Als Illustrator hat man ja oft sehr lange und hart trainiert, die ersten Klischees erstmal einfach wegzuwischen. Wenn mir eine Bildidee zu konventionell ist, versuche ich, noch etwas hinzuzufügen, was es ein bisschen auf den Kopf stellt. Aber eigentlich habe ich das Gefühl, dass Forschen ein sehr dankbares Thema zum Illustrieren ist. Beim "Haus der kleinen Forscher" darf ich ständig ideale Welten bauen. Alle Kulturen zusammen, immer Sommer und immer gutes Wetter.
Du hast für uns die BNE-Bande entwickelt. Wie war der Prozess auf deiner Seite?
Bei der BNE-Bande, das gebe ich zu, sind ganz viele Charaktere eingeflossen, die ich tatsächlich kenne. Ich merke ganz oft, dass sich Kinder von Freunden oder Kinder auf der Straße unbewusst in meinen Illustrationen wiederfinden. Oder andersherum: Ich habe ein Kind frei erfunden, denke ich, und eines Tages gucke ich aus dem Fenster meines Büros und da spaziert exakt dieses Kind vorbei. Ich arbeite gegenüber von einer Kita und neulich war da ein Kind, das sah identisch aus, wie das, was ich erfunden hatte. Ich musste von vornherein das Gefühl haben, dass ich die Figuren kenne, damit ich mich in sie reinversetzen kann. Bei der BNE-Bande war gewünscht, dass sie sehr unterschiedlich sind, auch aus verschiedenen Kulturen, und trotzdem habe ich sie so gezeichnet, dass sie mir nicht fremd sind. Diese Bande musste etwas Warmes haben und ich hoffe, dass das geklappt hat. Ich hatte einen persönlichen Bezug dazu, und scheinbar hat es euch ja gefallen.
Du hast ja für uns auch schon verschiedene Wimmelbilder illustriert, unter anderem das große Poster „Entdeckungsreise durch den Alltag“, das sich an Eltern richtet. Ein Wimmelbild besteht ja eigentlich aus vielen kleinen Bildern. Wie war das für dich?
Im Gegensatz zu schnellen Illustrationen, die man ja einfach überblicken kann, muss beim Wimmelbild alles irgendwie zusammenpassen und man braucht vorher einen Masterplan. Da führt kein Weg dran vorbei. Die Planung ist etwas, was mir nicht so natürlich von der Hand geht, deswegen ist beim Wimmelbild die Herausforderung, dass ich gegen meine natürliche Art und Weise vorher ein Layout richtig in Stein meißeln musste. Ich muss ja am Ende alles unterbringen.
Ich muss möglichst schnell anfangen zu skizzieren, sonst verliere ich die Spontanität.
Ulli Keil, Illustratorin
Wie lief der Prozess ab?
Ich habe eine riesenlange Liste bekommen mit konkreten Szenarien und der Grundidee eines Hauses. Ich wusste sofort, dass es ungefähr doppelt so viele Szenarien waren, wie ich unterbringen kann. Deswegen habe ich dann erstmal für mich editiert, was die spannendsten Ideen sind. Ohne groß rumzutheoretisieren musste ich dann möglichst schnell anfangen zu skizzieren, sonst verliere ich die Spontanität beim Zeichnen. Am Ende konnten wir eigentlich nur einen Bruchteil von den Szenarien, die auf der Liste waren, unterbringen, was aber auch total ausreichte. Die Lesbarkeit war vorrangiger, als alles zuzupropfen mit tausend Sachen, die sich keiner anguckt. Das tolle war, dass ich das Gefühl hatte, ich kann meine Welt kreieren mit allem, was ich gerne hätte – einen Dachgarten zum Beispiel.
Ich habe sehr lange an dieser Skizze gesessen. Dann habe ich es mit einem Lichttisch noch mal neu gezeichnet, weil mir gewisse Einzelheiten nicht gefallen hatten, und wiederum wollte ich so lange analog bleiben, wie es geht. Und dann habe ich das Ganze eingescannt und erst dann – nachdem wir dann alles besprochen hatten – habe ich in Photoshop ins Reine gezeichnet. In das clean Gezeichnete haben wir dann auch schon die Textboxen eingebaut, so dass ich beim Kolorieren keine Arbeit umsonst mache. Am Ende war dann nur noch eine sehr, sehr lange Arbeit, das zu kolorieren – mit sehr viel Musik und Podcasts.
Hast du eher jede Szene wie ein eigenes Bild betrachtet?
Schon, aber auch wieder nicht. Proportionen und Zusammenhang und Farben mussten ja von Szene zu Szene miteinander korrespondieren. Wenn ich zum Beispiel in eine Szene mehr Details reinbringe, etwa mehr Dinge, die in einem Zimmer zu sehen sind, und in einem anderen weniger, dann ist es nicht stimmig. Ich habe schon immer alles als Gesamtbild betrachtet, wie eine große Illustration. Eine Illustration, die einfach zehnmal so lange gedauert hat.
Hat es dir Spaß gemacht?
Das Absurde ist: Ich habe das als Kind auch schon gemacht, genau diese Motive. Ich habe Häuser gebaut und darin Welten gezeichnet, als würde man bei einem Haus die Wand ausklappen. Über Wochen habe ich das gemacht, mit vielen Details, oft auch zusammen mit meiner Schwester. Als ich dieses Wimmelbild gezeichnet hab, hab ich meine Mama angerufen und gesagt: Das ist total verrückt. Ich sitze hier und mache das, was ich früher im Garten gemacht habe. Nur dass mich jetzt jemand dafür bezahlt.
Ulli Keil lebt und arbeitet als freiberufliche Animatorin und Illustratorin in Berlin.