"Selbstwirksamkeit ist entscheidend für den Spaß!"

Von wegen abstrakt! Im Alltag von Kita-Kindern und Grundschüler:innen spielt Mathematik eine große Rolle. Wie die Lust auf Mathe geweckt und bewahrt werden kann, erklärt der Didaktiker und Influencer Dr. Hendrik Simon.
Wie führen Sie Kinder an Mathematik heran?
Ich arbeite mit Kindern nach dem Grundprinzip, dass sie ihre Erkenntnisse selbst erarbeiten. Das ist das Gegenteil vom klassischen Üben, das besagt: Ich zeige dir, was du üben sollst, und du übst es, bis du es kannst. Stattdessen schaue ich, wo die Kinder stehen: Kinder ohne Zahlverständnis profitieren beispielsweise von Nachbauaufgaben mit vertrauten Gegenständen, wie etwa Bauklötzen. Wenn ich möchte, dass Kinder Mathematik mögen und Spaß daran haben, sollte ich ihnen Aufgaben geben, bei denen sie selbstständig entdecken und Lösungswege entwickeln können. Dadurch bauen sie Vorstellungsbilder und Fähigkeiten auf, die ihnen auch im Unterricht helfen.

Also weg vom traditionellen Wiederholen und Lernen?
Die Mathematik-Didaktik kennt zwei Kompetenzen: Die inhaltsbezogenen Kompetenzen erklären, was gelernt wird. Die prozessbezogenen Kompetenzen erklären, wie die Inhalte gelernt werden können, also z. B. das Verstehen der Aufgabenstellung, sich zu überlegen, wie man vorgehen könnte, eigene Lösungswege ermitteln mit Werkzeugen wie Zählen, Addieren etc. Wenn die prozessbezogenen Kompetenzen beherzigt werden, wird Mathematiklernen zur Freude! Denn dabei erfahren Kinder Selbstwirksamkeit, weil sie merken: Ich kann das alleine! Dafür braucht jedes Kind unterschiedlich viel Zeit – die in der Schule manchmal nicht gegeben ist.
Die Kinder sammeln wertvolle mathematische Erfahrungen, ohne dass sie es merken.
Dr. Hendrik Simon, Mathematiker
Eigentlich ist Mathematik nichts Abstraktes, sondern im Alltag auch von jungen Kindern präsent. Haben Sie ein paar Beispiele dafür?
Eine ganz typische Situation: Sie haben z. B. eine Handvoll Gummibärchen und sagen drei Kindern: "Ihr dürft sie essen, aber vorher müsst ihr sie gerecht aufteilen!" Und schon haben wir einen mathematischen Problemlöseprozess: Die Kinder beschäftigen sich inhaltlich mit Division und mit Zahlzerlegung. Und dabei erfahren die Kinder auch, dass es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, um zu einer gerechten Aufteilung zu kommen: Manche Kinder zählen die Süßigkeiten vielleicht ab, andere legen nacheinander drei Reihen.
Aber auch andere Spielsituationen beinhalten mathematische Fragen. Beim kleinen Bauernhof mit Tierfiguren kann man schauen: Wie viele Tiere sind im Stall und wie viele sind noch drin, wenn zwei hinauslaufen? Wichtig dabei ist immer die Kommunikation der Kinder untereinander – und dass Erwachsene keine Vorgaben machen. Die Kinder sammeln dabei wertvolle mathematische Erfahrungen, ohne dass sie es merken. Übrigens empfehle ich, nicht zu verheimlichen, dass es dabei auch um Mathe geht, man kann es auch feiern: "Toll, du hast gerade Minus gerechnet!" Denn nach den kleinen Spielerfolgen belegen Kinder Mathematik dann mit dem Gefühl "Ja, ich kann das!".
Habt Interesse am kindlichen Lernprozess!
Dr. Hendrik Simon, Mathematiker
Aber warum hat Mathe dann oft so ein schlechtes Image?
Das Image, das Mathematik bei Schulkindern hat, hängt maßgeblich von der Lehrkraft und ihrer Form des Unterrichts ab und eben auch von dem erwähnten Gefühl der Selbstwirksamkeit des Kindes. Erwachsene greifen meist auf ihre Erfahrung zurück: Hatten sie selbst tolle Lehrer:innen, entwickelten sie eine positive Einstellung zu Mathe. Insgesamt spielen die Lehrkräfte also eine sehr große Rolle.
Auf Instagram zeigen Sie, wie mit einfachen, spielerischen Mitteln mathematische Phänomene greifbar werden. Welchen Ratschlag haben Sie für pädagogische Fachkräfte in der Kita oder im Hort, die Berührungsängste oder Hemmschwellen Mathematik gegenüber haben?
Ganz einfach: Habt Interesse am kindlichen Lernprozess! Dahinter muss gar nicht das Ziel stecken, selbst Mathematik zu machen. Wichtig ist, mit Neugierde und Aufmerksamkeit Kinder dabei zu beobachten, wie sie mathematische Fragestellungen angehen und Probleme lösen. Wenn ich Kindern interessante mathematikhaltige Aufgaben stelle und sie einfach machen lasse, schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe: Erstens fördere ich sie inhaltlich und zweitens ermögliche ich ihnen eigenständige Problemlöseprozesse, in denen sie ihr Wissen selbst konstruieren – und das hilft ihnen, dieses Wissen viel tiefer zu verankern.
Über Dr. Hendrik Simon
Dr. Hendrik Simon ist Mathematiker, bildet an der Bergischen Universität Wuppertal zukünftige Grundschullehrer:innen aus und entwickelt gemeinsam mit seiner Frau Unterrichtsmaterialien und Schulbücher. Bis 2020 therapierte er rechenschwache Kinder in seiner eigenen Praxis. Seit der pandemiebedingten Pause steckt er zudem seine didaktische Energie in seinen Instagramkanal, der mehr als 80.000 Follower:innen mit Tricks und Tipps begeistert: instagram.com/hendriks_mathewerkstatt