"Es gibt nicht das eine Richtige"
Thomas Ranft ist Wissenschaftsjournalist und Fernsehmoderator und beschäftigt sich vor allem mit den Themen Wetter, Klimawandel und Nachhaltigkeit. Im Interview spricht er über die Folgen des Klimawandels, über Nachhaltigkeit als Haltung und darüber, warum uns der Blick in die Geschichte Hoffnung geben kann.
Woher wissen wir eigentlich, dass es den Klimawandel gibt?
Die Atmosphäre besteht aus Luft, und ein Teil der Luft ist CO2. Das CO2-Molekül ist groß genug, dass Wärmestrahlung daran reflektiert wird. Weil wir die ganze Zeit Dinge verbrennen, kommen immer mehr von ihnen in die Atmosphäre und immer mehr Wärmestrahlung wird reflektiert. Deshalb wird es immer wärmer.
Und dass es immer wärmer wird, merken wir dadurch, dass wir seit Langem die Temperatur messen?
Genau. Seit knapp 150 Jahren zeichnen wir Wetterdaten auf. Außerdem können wir mit anderen Methoden das Temperaturniveau von vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden feststellen. Wetter ist mal bitterkalt, mal wahnsinnig heiß und ganz oft ziemlich durchschnittlich. Klima ist der Durchschnitt von all dem.
Welche Folgen des Klimawandels spüren wir schon jetzt bzw. werden wir langfristig spüren?
Wenn wir es an Deutschland festmachen, kann ich sagen: Es wird wärmer, und zwar durchgängig im ganzen Jahr. Die Sommer werden trockener und die Winter nasser. Das heißt, wir haben häufiger Regen und seltener Schnee. Leider, denn Schnee speichert Wasser. Wenn im Winter viel Regen fällt, sind die Böden irgendwann gesättigt und das wertvolle Süßwasser geht für uns und die Natur verloren. Im Sommer das gleiche: Es wird insgesamt trockener, aber die Starkregenereignisse nehmen zu. Das bedeutet: Es war lange trocken, der Boden ist knochenhart. Dann kommt das Gewitter. Kein gemütlicher Landregen, der den Boden wieder auflöst, so dass das Wasser langsam versickert. Stattdessen ist der Boden eher wie Beton. Da sickert gar nichts ein.
Mit alldem werden sich auch die Jahreszeiten verändern. Das Frühjahr beginnt früher, der Herbst endet später. Das heißt, die Vegetationsperiode wird länger. Allerdings kann es – und das haben wir erst in diesem Jahr erlebt – trotzdem im Frühjahr nochmal zu Nachfrost kommen. Wenn aber die Bäume früher austreiben und zum Beispiel die Obstblüte früher beginnt, gibt es die entsprechenden Schäden.
Wie können wir darauf reagieren?
Wir müssen in Zukunft u. a. die Haltefähigkeit von Wasser technisch verbessern. Wir müssen zum Beispiel im Wald dafür sorgen, dass mehr Auffangmöglichkeiten wie Kuhlen und Senken geschaffen werden. Dafür, dass das Wasser im Wald auch mal lange stehen kann und erst nach und nach versickert. Wenn der Schnee das Wasser nicht für uns speichert, müssen wir tricksen. Und wir müssen auch bei der landwirtschaftlichen Nutzung schauen, was sich machen lässt, damit Wasser mehr Zeit zum Versickern hat.
Nachhaltigkeit ist eine Haltung.
Thomas Ranft, Wissenschaftsjournalist
Was kann jede:r von uns im Alltag tun?
Viele Dinge müssen in größeren Maßstäben geregelt werden. Das heißt, das müssen Staaten, Bundesländer, Kommunen erledigen. Aber es gibt auch viele Dinge, die wir Einzelnen tun können: Das hat aus meiner Sicht etwas mit einem Verständnis von mir und meiner Umwelt zu tun. Wie gehe ich mit ihr um? Wie kann ich Dinge für mich und meine Umwelt erträglich gestalten? Und wenn Menschen alt genug sind, um zu wählen, auch: Wie unterstütze ich Menschen, die Entscheider:innen sind? Wen wähle ich? Das ist unvorstellbar wichtig. Wenn viele Dinge die Gemeinschaft betreffen, muss ich mit meiner Stimme dafür sorgen, dass die Menschen gewählt werden, die Probleme lösen wollen.
Das klingt nach etwas Grundlegenderem als „Ich trenne meinen Müll und fahre mein Auto elektrisch“, oder?
Wenn ich elektrisch fahre oder meinen Müll trenne, mache ich das, weil meine Sicht auf die Welt das von mir fordert. Nachhaltigkeit ist also eine Haltung. Diese Achtsamkeit gegenüber mir selbst, den Lebewesen und Dingen um mich herum führt dazu, dass ich mich frage: „Ist das jetzt eine gute Idee, was ich da mache?“ Wobei ich die Antwort als Einzelner manchmal gar nicht geben kann.
Was macht der Schneehase ohne Schnee?
Es ist zu heiß zum Toben, zu stürmisch zum Klettern, zu nass zum Rennen. Kinder nehmen Hitzewellen, Starkregen oder starke Gewitter wahr und haben Fragen. Unsere neue Fortbildung unterstützt dich dabei, die Fragen der Kinder aufzugreifen. Mithilfe des Konzepts Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) erfährst du, wie du mit den Mädchen und Jungen altersgerecht über die Klimakrise sprechen kannst und wie ihr Klimaschutz gemeinsam gestalten könnt.
Zur FortbildungWoran denken Sie da?
Nehmen wir zum Beispiel die folgende Frage: Wenn ich im Juli einen Apfel kaufe, ist dann der aus dem Kühlhaus vom Bodensee besser als der aus Neuseeland? Das kann ich selbst gar nicht wirklich beantworten. So oder so: Wenn mir der Apfel wichtig ist, dann kaufe ich ihn. Aber natürlich darf ich auch über den Tellerrand schauen und mich fragen: Muss es im Juli ein Apfel sein? Der wird ja im Herbst geerntet, ist also mindestens schon ein dreiviertel Jahr alt. Ähnlich ist es bei Bananen. Ich habe in Deutschland noch keine Bananenplantagen gesehen, sie gelten bei uns aber als urdeutsches Obst. Auch hier kann man sich fragen: Wo kommt das her? Wozu führt das und gibt es Alternativen? Wenn es für mich keine Alternative gibt, dann entscheide ich mich trotz schlechter Klimabilanz für die Banane. Mein Nachbar sagt aber womöglich: „Für mich gibt es schon eine Alternative.“ Alle haben das Recht, das für sich zu entscheiden, denn es gibt nicht das eine Richtige. Wenn wir auf einer Transformationsreise hin zu mehr Nachhaltigkeit sind, müssen wir Menschen zugestehen, dass manche schneller und andere langsamer sind.
Kita-Kinder von heute werden das Jahr 2100 erleben. Was würden Sie Pädagog:innen, die mit diesen Kindern arbeiten, mitgeben?
Als Menschen vor 100 Jahren geboren wurden, konnte man sich nicht ausmalen, welche umwälzenden weltweiten Veränderungen auf sie zukommen würden. Darauf konnte sie niemand vorbereiten – und das geht auch heute nicht. Was können wir Kindern dennoch mitgeben? Erstens: Du baust deine Welt und damit du diese gut bauen kann, ist gute Bildung wahnsinnig wichtig. Auch wenn Bildung in Zukunft sicher anders aussehen wird als heute. Zweitens: Deine Welt wird sehr anders sein als heute und sich ständig verändern. Lass Neues zu. Du musst nicht begeistert sein, aber probiere es zumindest aus und dann sag mir, wie es war. Nicht mitzumachen, geht nicht.
Was sind Behauptungen zum Klimawandel, die Sie nicht mehr hören können?
Den Klimawandel gibt es nicht. Was sollen wir hier in Deutschland schon machen, wir sind doch nur für zwei Prozent der Verschmutzung verantwortlich. Bevor andere Industrieländer nichts machen, mache ich schon gleich dreimal nichts.
Wir bemerken es hierzulande oft nicht, aber weltweit bewegt sich unglaublich viel.
Thomas Ranft, Wissenschaftsjournalist
Ihre Antworten kamen prompt. Warum können Sie diese Sätze nicht mehr hören?
Weil das alles falsch ist. Erstens stimmen diese zwei Prozent nicht. Zweitens ist es eine zu einfache Rechnung: Wir sind in Deutschland 82 Millionen Menschen. Auf der ganzen Welt gibt es aber acht Milliarden Menschen und der afrikanische Kontinent hat einen Anteil von vier Prozent an der gesamten Verschmutzung. Das heißt, allein die Verschmutzung durch Deutschland beträgt schon die Hälfte von dem, was Afrika beiträgt. Hinzukommt: Wir sind schon sehr, sehr lange ein Industrieland. Wir haben schon sehr, sehr lange ganz schön viel Zeug verbrannt. Und all das CO2 ist jetzt immer noch etwa 900 Jahre in der Luft. Also ist unser Impact sehr groß. Außerdem werden wir den Klimawandel nicht bekämpfen, indem wir es anderen überlassen. Gleichzeitig müssen wir uns nicht alleine kümmern. Wir bemerken es hierzulande oft nicht, aber weltweit bewegt sich unglaublich viel.
Ist das etwas, das Ihnen Hoffnung gibt?
Ja. Schauen wir doch zum Vergleich mal in die Geschichte: Die Brüder Wright zum Beispiel haben zwar am Ende das motorisierte Flugzeug erfunden, zur gleichen Zeit wurde aber weltweit über das motorisierte Fliegen nachgedacht. Allein in den USA wurde damals sehr viel daran gearbeitet. The Smithsonian Institution hat damals beispielsweise seinen Chef beauftragt, das motorisierte Fliegen zu erfinden. Seinen Namen kennt heute niemand mehr, weil er es nicht geschafft hat. Trotzdem: Es war einfach der Trend. Ähnlich war es bei der Erfindung des Internets und ähnlich ist es mit unserer derzeitigen Transformation auch. Vielleicht bringt den Durchbruch eine Person oder ein Unternehmen, aber letztendlich arbeiten alle daran.