Warum die Wissenschaft die Praxis braucht – und umgekehrt
Die Angebote der Stiftung "Haus der kleinen Forscher" orientieren sich am pädagogischen Alltag. Wissenschaftlich begründet sollen sie aber auch sein – manchmal ein Spagat. Referentin Nathalie Lebski aus dem Stiftungsbereich "Forschung und Entwicklung" erklärt, wie der Austausch der Disziplinen funktioniert, und warum die Wissenschaft manchmal gute Argumente für Gespräche mit kritischen Eltern liefern kann.
Nathalie, die Bildungsangebote der Stiftung müssen berücksichtigen, wie es um die Strukturen und die personelle Lage in der pädagogischen und unterrichtlichen Praxis bestellt ist. Sie sollen außerdem aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und gesamtgesellschaftliche Themen aufgreifen. Gibt es einen aktuellen Fall, der dieses Zusammenspiel demonstriert?
Nathalie Lebski: Das Thema "Einsatz digitaler Medien in der Bildung" zeigt das ganz gut. Durch die fortschreitende Digitalisierung der Gesellschaft diskutieren zurzeit viele, wie digitale Medien in Schulen und im Bereich der Frühpädagogik eingesetzt werden können. Wissenschaftliche Erkenntnisse helfen uns, einzuschätzen, wie die Auseinandersetzung mit Medien sich auf Kinder auswirkt, und welches Wissen und welche Fähigkeiten pädagogische Fach- und Lehrkräfte brauchen, um zu gewährleisten, dass Kinder mit Medien angemessen umgehen. Ein Blick in die Praxis verrät aber, dass dieselben Fach- und Lehrkräfte sich oft noch gar nicht mit diesen Themen auseinandersetzen können, weil zum Beispiel die technischen Voraussetzungen oder das Knowhow im Umgang mit Medien in vielen Einrichtungen noch gar nicht vorhanden sind.
Was machen wir mit diesem Spannungsfeld aus Ansprüchen und Tatsachen?
Wir greifen es auf und versuchen unsere Angebote so zu konzipieren, dass sie einen möglichst hohen Mehrwert für pädagogische Fach- und Lehrkräfte haben. Die Kombination aus wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem Einblick in die pädagogische Praxis eröffnet uns mehrere Perspektiven, die wir nutzen können. Am besten gelingt uns dieser Austausch, wenn wir die unterschiedlichen Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Praxis an einen Tisch holen und gemeinsam Lösungsansätze erarbeiten. Außerdem verortet sich die Stiftung in der deutschen Bildungslandschaft, und entwickelt eine Haltung zu bestimmten Fragestellungen und Themen. Der Bereich "Forschung und Qualitätsmanagement" unterstützt die Erarbeitung von Positionspapieren, indem er die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft zusammenträgt.
Wie läuft ein Expertenaustausch praktisch ab?
Zunächst ermitteln wir, welche Fragestellungen diskutiert werden sollten oder zu welchen Herausforderungen wir Rückmeldung aus Wissenschaft und Praxis benötigen. Anschließend machen wir mögliche Expertinnen und Experten ausfindig, die uns bei der Beantwortung unserer Fragen unterstützen und laden sie zu einem gemeinsamen Austausch ein. Das können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit besonders großer Expertise in den jeweils nötigen Bereichen oder Fachdisziplinen sein. Manchmal sind es auch Forschende, von denen wir wissen, dass sie sich mit ähnlichen Fragestellungen auseinandersetzen. Aus der Praxis greifen wir oft auf unsere Piloteinrichtungen zurück. Die dort arbeitenden Fach- und Lehrkräfte nehmen erfahrungsgemäß sehr gern an Diskussionen teil und bereichern mit ihrer Praxisperspektive einen Austausch. Jetzt, wo wir uns alle meistens digital treffen, haben wir uns zuletzt auch bundesweit mit Personen aus der Praxis ausgetauscht, die wir über verschiedene Kanäle für unsere Veranstaltung gewinnen konnten.
Begleitstudien sorgen dafür, dass wir eine lernende Institution bleiben und uns stetig weiterentwickeln.
Nathalie Lebski
Was bewirken diese Austauschgespräche?
Sie liefern Impulse für innovative Ideen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind für uns oft "kritische Freunde". Sie weisen uns darauf hin, welche Faktoren oder Herausforderungen wir in unseren Fragestellungen oder Angebotsentwicklungen noch berücksichtigen sollten. Die Stiftung steckt dann in der Rolle, alles zusammenzubringen. Wir nutzen die wissenschaftlichen Theorien, empirische Erkenntnisse aus Studien, und die vorherrschenden Bedingungen der Praxis, um unsere Bildungsangebote möglichst passgenau zu konzipieren. Der Anspruch der Wissenschaft und unser eigener Anspruch ist es, dass wir neueste Forschungsergebnisse berücksichtigen und dass unsere Arbeit auch objektiv bewertet werden kann. Begleitstudien, die wir fördern und die unsere Arbeit untersuchen, können uns neben der internen Evaluation dabei unterstützen. Sie sorgen dafür, dass wir eine lernende Institution bleiben und uns stetig weiterentwickeln. Die Ergebnisse von Studien, Expertisen und internen Evaluationen veröffentlichen wir transparent auf unserer Website. Das unterstützt die Stiftung auch darin, sich als seriöser Anbieter von Bildungsangeboten zu definieren.
Gibt es ein Beispiel für ein Stiftungsprojekt, in dem sich die wissenschaftliche Unterstützung schon niedergeschlagen hat?
Ein aktuelles Beispiel ist das Projekt PRIMA!2023. Hier entwickelt die Stiftung gerade ein Fortbildungskonzept für den Grundschul-Unterricht. Es gibt bereits Erkenntnisse zu Art, Dauer und Inhalt, die uns wichtige Erkenntnisse über gelingende Lehrerfortbildungen liefern. Anders als unsere bisherigen Angebote wird dieses Fortbildungsangebot über einen längeren Zeitraum und damit prozessorientiert angeboten. Damit wird einerseits der Bedarf der Zielgruppe nach vertieften Inhalten und einer stärkeren Begleitung und den Erkenntnissen der Forschung Rechnung getragen, da diese eine höhere Nachhaltigkeit längerer Fortbildungen belegen konnte. Und aus der Studie "Early Steps into Science", die vom BMBF und uns gefördert wurde, wissen wir, dass das gesamte Team angesprochen werden muss, wenn frühe MINT-Bildung in Kitas verankert werden soll. Das hat uns dazu angeregt, das Projekt "KiQ - Gemeinsam für Kita-Qualität" zu entwickeln, bei dem Einrichtungen, gesamte Teams und ihre Leitungen ganzheitlicher in den Blick genommen werden, und ein stärkerer Austausch zwischen pädagogischen Fach- und Leitungskräften angestrebt wird, indem eine Prozessbegleitung in der Umsetzung von Fortbildungsinhalten vor Ort unterstützt.
Wie profitieren pädagogische Fach- und Lehrkräfte konkret von diesem Dialog?
Pädagogische Fachkräfte sind Expertinnen und Experten für die Arbeit mit Kindern. Sie können uns am allerbesten die genauen Bedürfnisse schildern, die sich aus der täglichen Arbeit und den dort vorherrschenden Rahmenbedingungen ergeben. Als Fortbildungsanbieter möchten wir die alltägliche pädagogische Arbeit unterstützen. Wir möchten ermöglichen, dass sich pädagogische Fach- und Lehrkräfte mit Freude, Motivation und nach ihren Interessen weiterbilden. Wenn die Fachkräfte einen Einblick in unsere Arbeit bekommen und sich austauschen, sorgt das dafür, dass sie sich mit ihren Bedürfnissen ernst genommen fühlen und merken, dass ihre Meinung und Bewertung unerlässlich sind. Gleichzeitig können sie sich aktiv in die Gestaltung einbringen und ihre Interessen formulieren. Der Wissenschaft wird oft nachgesagt, dass sie eine Leuchtturm-Perspektive einnimmt. Alles wird objektiv und aus weiter Entfernung betrachtet und bewertet, aber es ist manchmal fragwürdig, ob es tatsächlichen Nutzen für die Praxis hat. Für uns ist wichtig, dass pädagogische Fach- und Lehrkräfte wissen, dass ihre Perspektive und ihre Erfahrungen wichtig sind.
Ergebnisse der Wissenschaft können gute Argumente für die tägliche pädagogische Arbeit liefern.
Nathalie Lebski
Kann es denn dazu auch einfach interessant sein zu erfahren, was aktuell diskutiert wird?
Auf jeden Fall. Ergebnisse der Wissenschaft können auch gute Argumente für die tägliche pädagogische Arbeit liefern. Wenn wir zum Beispiel noch einmal an die Debatte um digitale Medien in Kitas denken, stehen pädagogische Fachkräfte kritischen Eltern oft unsicher gegenüber. Wissenschaftliche Erkenntnisse können Argumentationshilfen bieten. Auch hierfür erarbeitet sich die Stiftung eine Position, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht und mit Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis diskutiert wird.
Was kommt als nächstes auf die Dialogpartner zu?
Die Stiftung arbeitet daran, die Vernetzung unterschiedlicher Akteure der Bildungslandschaft noch stärker als bisher zu fördern. Die Erfahrung zeigt, dass ein Dialog zur bedarfsgerechten Entwicklung unterschiedlicher Bildungsangebote von hoher Bedeutung ist. Im Projekt "Forum KITA-Entwicklung" beispielsweise steht die Vernetzung daher im Mittelpunkt. Das Forum dient als Austauschplattform für alle Beteiligten im System Kita und hat sich zum Ziel gesetzt, mit Impulsen für die Organisationsentwicklung zur Qualitätsentwicklung in Kitas beizutragen. Im gemeinsamen Dialog wollen wir erfahren, unter welchen Bedingungen die in der Praxis tätigen pädagogischen Fachkräfte arbeiten und wie die Stiftung die Qualität vor Ort verbessern kann. Hierfür hat das Projekt bereits unterschiedliche Expertinnen und Experten aus der Praxis und Forschung zur frühkindlichen Bildung, pädagogische Fachkräfte und Verantwortliche von Kita-Trägern zu einem gemeinsamen Austausch eingeladen. Mit dem Projekt wird eine wichtige Lücke geschlossen, denn obwohl es bereits viele Hinweise auf herausfordernde Rahmenbedingungen im Kita-System gibt und gleichzeitig auch schon viele Überlegungen für eine Verbesserung, fehlt es an einer systematisch und fundierten Aufarbeitung möglicher konkreter Handlungsfelder. Damit trägt die Stiftung auch dazu bei, neben der Bereitstellung von Fortbildungsangeboten für pädagogische Fach- und Lehrkräfte die Vermittlung und Vernetzung unterschiedlicher Beteiligter der Bildungslandschaft und der Politik zu fördern.