Auf Großstadt-Safari

Blick vom Hauptbahnhof über Berlin
© Kecia Holtzendorff
Der Himmel über Berlin - betrachtet aus dem 50Hertz-Gebäude am Hauptbahnhof.

Am 12. Februar hatte ich die Gelegenheit an einer ganz besonderen Safari teilzunehmen. Ich musste dafür nicht einmal bis nach Afrika fahren, sondern nur bis zum Tempelhofer Ufer. Dort begann die Safari der "Big Three" – der drei Start-up-Unternehmen, die uns TeilnehmerInnen was zum Thema "Personal 4.0" an selbstgemachten Erfahrungen mitgeben wollten.

Aber von vorne: Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum "Gemeinsam Digital" bietet diese Start-up Safaris zu verschiedenen Themen regelmäßig und kostenlos (!) an. Gefördert wird dies vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Teilnehmen kann im Prinzip jeder, aber der Veranstalter achtet bei der Anmeldung darauf, dass die Gruppe nach Institutionsarten gemischt und ausgewogen ist. Am Ende sind es dann ca. 15-20 TeilnehmerInnen. Treffpunkt ist bei dem ersten Unternehmen, danach werden alle per Bus von Station zu Station gefahren – wie auf einer Safari halt.

"You don’t have to see the whole staircase, just take the first step"

Eine Darstellung von internen Kreisen und Positionen
© Kecia Holtzendorff
HRPeppers Darstellung von internen Kreisen

Meine Safari fing bei HRPepper an. Eine Management Consulting Firma, die vor ca. 2 Jahren beschlossen hat, die alte Unternehmensstruktur aufzulösen. Zu Beginn des Prozesses gabs einen Workshop mit allen MitarbeiterInnen, dann wurde mit einer kleinen Gruppe weiter gearbeitet. Sie entschieden sich für ein Modell mit sogenannten "Entscheidungskreisen" und definierten Rollen. Mit diesen Rollen werden Funktionsbereiche beschrieben, die jede Institution hat, also Personal, IT, Marketing, etc und die nicht zu dem eigentlichen Kerngeschäft (in diesem Fall "Personalberatung") gehören. Zudem gibt es für verschiedene Bereiche "Manager". Jede MitarbeiterIn hat die Möglichkeit sich auf die verschiedenen Rollen zu bewerben – muss es aber auch nicht!

Interessant fand ich den Prozess der Rollenbesetzung; dieser ging in zwei Schritten: Die Selbstnominierung und die Fremdnominierung. Zunächst konnte jeder sich für verschiedene Rollen selbst nominieren. Danach hat jede MitarbeiterIn andere KollegInnen für verschiedene Rollen nominiert. Dann wurde abgeglichen und gemeinsam besprochen, wer für welche Rolle am Besten geeignet ist. Am Ende wurden manche Rollen mit zwei Personen besetzt und die eine oder andere ist noch immer unbesetzt. Einige MitarbeiterInnen besetzen keine dieser Rollen, sondern arbeiten "nur" in ihrem Kerngeschäft als PersonalberaterIn. Die sogenannten "People-Manager" (Führungskräfte) werden ebenso von den MitarbeiterInnen bestimmt. Der Geschäftsführer bleibt Geschäftsführer und hat sich vorbehalten auch seinen Prokuristen selbst zu wählen. Die beiden entscheiden auch über Budget und Personalkosten. Jede andere zu fällende Entscheidung wird in den entsprechenden Kreisen gefällt.

Eine Treppe mit Text beklebt
© Kecia Holtzendorff
Nach oben geht es Schritt für Schritt...

Fazit des Prozesses war, dass alle MitarbeiterInnen "unternehmerisches Denken" gelernt und Verantwortung übernommen haben. Aber es gab eben auch MitarbeiterInnen, die das Unternehmen verlassen haben, weil das für sie nicht passte. Das Thema "Vergütung" in diesem Modell steht noch aus, wird aber jetzt bearbeitet, weil das "alte" Modell der Vergütung für die neue Struktur nicht mehr passt. Die sehr schönen Büros in sehr alten Gebäuden sind mit flexiblen Arbeitsplätzen ausgestattet, in denen sich auch der Geschäftsführer einreiht. Sensible Daten sind entweder in seiner Aktentasche oder in einem abschließbaren Schrank. Darüber hinaus gibt es feste Arbeitsplätze für Personen, die immer da sind und einige Besprechungsräume, die vielseitig nutzbar und sehr gemütlich sind. Und ein sehr interessantes Detail: Es gibt nur einen Besprechungstag – den Freitag. Hier finden alle Besprechungen statt. Die anderen Tage sind zum Arbeiten da!

Auf das richtige Matching kommt's an!

Nach diesem sehr interessanten Besuch sind wir weiter gefahren zu einem ganz anderen Unternehmen: Tandemploy. Dies ist ein noch sehr junges Unternehmen, das eine Software entwickelt hat, wo Personen sich über einen Algorithmus finden können, um sich gemeinsam auf eine Stelle – also als Tandem – bewerben zu können.  Anlass waren die zwei Gründerinnen, die nach ihrer Rückkehr aus der Elternzeit zwar weniger arbeiten wollten, aber nicht weniger anspruchsvoll. So entstand die Idee sich gemeinsam auf eine verantwortungsvolle Arbeitsstelle zu bewerben und diese Idee in die Welt zu tragen. Das Unternehmen befindet sich in einer Art Wohnung, wo alle Türen offen stehen. Die Möbel sind zum großen Teil selbstgetischlert und es gibt eine hervorragende Kaffeemaschine (worauf auch viel Wert gelegt wird. Schmeckt übrigens auch sehr lecker, der Kaffee dort). Es gibt einen Ruheraum mit Hängematte (!) für den kleinen Mittagsschlaf und mit einer Spielecke, falls mal ein Kind mit zur Arbeit kommt. Und es gibt eine selbstgemachte Übersicht, welche Mitarbeiter wann da sind (Stichwort "Teilzeit"). Auffällig war, dass gar nicht auffiel, wer hier jetzt eigentlich welche Rolle hat. Die Geschäftsführerinnen sitzen mittendrin wie jeder andere.

© Kecia Holtzendorff
Wochenplan bei Tandemploy: schön bunt.

Gestaltungsspielräume

Am Ende ging es dann zu einem der interessantesten Gebäude in Berlin: dem 50Herzt-Haus am Hauptbahnhof. Das hatte mich eh schon lange interessiert. Ein total anderes Setting als in den beiden eher kleineren Unternehmen vorher. Eine Riesen-Eingangshalle mit Einlasskontrolle und Besucherkärtchen. Nachdem wir erstmal darüber aufgeklärt wurden, was 50Hertz eigentlich macht (nein, keinen Strom sondern nur das Stromnetz), ging es nach fast ganz oben zu den Besprechungsräumen mit gigantischem Blick über Berlin und den Hauptbahnhof. 50Hertz ist vor 3 Jahren in dieses Gebäude gezogen, weil das alte zu klein wurde. In dem Zusammenhang wurde auch über die Frage nach Desksharing nachgedacht, das wurde jedoch verworfen. Stattdessen hat man sich entschieden, zwar Großraumbüros zu machen, hierbei aber darauf zu achten, die Akustik so zu gestalten, dass der Lärmpegel möglichst niedrig bleibt. Ich habe sehr schöne Schallschutzstellwände gesehen! Die Mitarbeiter durften "ihre" Flächen selber gestalten (natürlich in Abstimmung mit den Innenarchitekten) und sich auch die Möbel aus einer Vorauswahl selber auswählen. In jedem Bereich gibt es Kaffeeecken, SEEEEHR viele Mini-Besprechungszellen mit Glastüren sowie "Notarbeitsplätze" und offene Besprechungsecken in den Gängen. Alles sehr offen und trotzdem sehr gemütlich. Es gibt sogenannte "Follow-me Drucker" an zentralen Stellen – diese speichern den vom Arbeitsplatz aus gesendeten Druckauftrag so lange, bis die entsprechende MitarbeiterIn mit ihrem Chip den Druckauftrag direkt am Drucker auslöst. Das sorgt für Nachhaltigkeit und Datensicherheit.

Blick aus einem Startup-Büro
© Kecia Holtzendorff
Zuhause bei 50Hertz: schöner Ausblick!

Sie haben auch darauf geachtet, reichlich Besprechungsräume einzurichten (aus der Erfahrung, dass sie vorher viel zu wenig hatten), diese sind teilbar und flexibel. Es gibt 26 Terrassen / Loggien, um frische Luft zu schnappen oder in der warmen Jahreszeit, sich draußen zu besprechen. Zu Anfang hatten sie normale Telefone, was aber schwierig war, weil wenn längere Telefonate anfielen, konnten die MitarbeiterInnen ihre Plätze nicht verlassen, um Rücksicht auf die KollegInnen zu nehmen. Jetzt geht alles über skype-for-business und Headset, sodass man aufstehen, im ganzen Haus rumlaufen und einen ruhigen Ort suchen kann, um dort länger zu telefonieren. Es gibt für die Besprechungsräume elektronische Belegungspläne, wo man auch sehen kann, wie lange der Raum jetzt frei ist, falls er frei ist. Auch bei 50Hertz gab es Mitarbeiter, vor allem Führungskräfte, die ihre Statussymbole nicht aufgeben wollten und die Firma verlassen haben. Die Führungskräfte sitzen nämlich auch mit auf der Fläche – für uns zum Gespräch stand auch der Personalchef selber zur Verfügung, der darüber berichtete. Aber das Unternehmen ist attraktiv für Mitarbeiter - schon aufgrund der Lage direkt am Hauptbahnhof - und aufgrund der Infrastruktur (es gibt natürlich auch ein Café und eine sehr gute Kantine im Haus). Sie haben keine Probleme, neue MitarbeiterInnen zu finden.

Change darf auch Spaß machen!

Für mich war es ermutigend zu sehen, dass sich einige Unternehmen sehr konsequent auf den Weg gemacht haben, die Arbeitswelt wie wir sie von früher her kennen umzugestalten (und das kann – so sah es jedenfalls aus – auch noch Spaß machen!). Dafür kann es verschiedene Gründe geben: Unternehmerische Notwendigkeiten, die Gelegenheit (z.B. ein Umzug) oder einfach die Überzeugung. Interessant und auch durchaus überraschend fand ich, was für eine große Rolle die Räumlichkeiten, bzw. die äußeren Umstände spielen. Denn das war allen drei Unternehmen gleich: sie hatten sehr unterschiedliche aber sehr angenehme und durchdachte Räumlichkeiten, in denen man sich wohlfühlen konnte. So etwas kann man nur erleben, indem man dort war und ich bin froh, dass ich dort war!

Auf eine Tafel ist eine Mitarbeiterphilosophie geschrieben
© Kecia Holtzendorff
Die " Goldene Regel" der Mitarbeiterphilosophie
Portrait von Kecia Holtzendorff
Autor/in: Kecia Holtzendorff

Als Referentin im Team Netzwerke Service & Qualifizierung bin ich verantwortlich für unser internes CRM-System und konzipiere dafür Fortbildungen für die Mitarbeiter*innen der Stiftung. Außerdem arbeite ich seit 2019 in unsererm ersten agilen Team mit, für das ich ab 2020 die Stelle der Scrum Masterin einnehmen darf. Da mich auch persönlich die Veränderungen der beruflichen Welten im Zuge der Digitalisierung interessieren, freue ich mich hier ein wenig mitgestalten zu dürfen.

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