Warum Kinder fragen müssen
Kinder stellen jeden Tag zahlreiche Fragen. Das kann für Erwachsene herausfordernd sein – hat aber eine wichtige Funktion, sagt Anne Großkurth. Sie ist Referentin für MINT-Bildung bei der Stiftung "Haus der kleinen Forscher" und erzählt im Interview, welche Arten von Kinderfragen es gibt, wie sich in ihnen Forschungsanlässe finden lassen und warum gemeinsames Denken Kindern am meisten bringt.
Warum sind Fragen für Kinder so wichtig?
Kinder wollen sich die Welt erschließen. Dazu gehört nicht nur das Erfahren mit allen Sinnen, sondern mit zunehmendem Alter auch, dass sie sich die Welt über das Denken erschließen. Sie lassen sich auf Fragen ein und versuchen Zusammenhänge zu verstehen. Außerdem finde ich, wenn ein Kind fragend in die Welt hinausgeht, dann traut es sich etwas. Es setzt sich in Bezug zur Welt und hat den Mut, sie zu erkunden. Das ist ein gutes Zeichen.
Wie unterscheiden sich Fragen von Kindern je nach Alter?
Jüngere Kinder setzen sich erst einmal körperlich-sinnlich mit der Welt auseinander. Babys stecken zum Beispiel alles in den Mund. Sie wollen erkunden: "Wie schmeckt das?" Das wird immer komplexer und abstrakter, je älter die Kinder werden, ihre Fragen haben dann auch unterschiedliche Absichten.
Die Fragen von Kindern zeigen uns, was sie gerade beschäftigt.
Anne Großkurth, Referentin für MINT-Bildung
Was kann das sein?
Manchmal ist es nur ein Handlungswunsch, manchmal sind es sozial erwünschte Fragen. Es gibt Sachfragen, beispielsweise "Wie viele Fußballvereine gibt es?". Das sind Dinge, die man recherchieren kann. Es gibt Forschungsfragen, zu denen man ganz praktisch etwas erkunden kann. Und dann gibt es ganz viele Fragen philosophischer Art, die Kinder haben. Große existenzielle Fragen, die man gedanklich ergründen kann: Was ist der Mensch? Was ist gerecht? Warum leben wir?
Wenn mich also ein Kind fragt "Warum werden wir alt?", kann ich erstmal schauen, was der Gedanke dahinter ist. Will das Kind nur wissen, was ich darüber denke und in den Austausch gehen? Oder ist das eine philosophische Frage? Die Fragen von Kindern zeigen uns, was sie gerade beschäftigt.
Woran erkennen Pädagoginnen und Pädagogen, ob sich eine Frage als Forschungsanlass eignet?
Auch hier muss ich erstmal schauen, warum das Kind eine bestimmte Frage stellt. Vielleicht ist das etwas, worüber es immer wieder nachdenkt und wozu es eine Nachdenkpartnerin oder einen Nachdenkpartner haben möchte. Oder möchte das Kind zu seiner Frage wirklich etwas ausprobieren? Wenn mir dann einfällt, dass ich dazu eine konkrete Erfahrung oder eine Praxisidee vorschlagen kann, dann eignet sich die Frage als Forschungsanlass.
Hast du ein Beispiel?
Ein Kind fragt: "Wie viele Tiere gibt es?" Das ist eine Frage, bei der ich mich auf Recherche begeben kann. Andere Kinder fragen vielleicht: "Welche Vögel kann ich hier finden?" Da kann ich mit ihnen rausgehen und anfangen zu beobachten. Wobei Vogelbeobachtung sehr viel Geduld benötigt. Das ist mit Kindern im Kita-Alter nicht unbedingt das Einfachste.
Es ist schon eine Kunst zu schauen, was sich wirklich zum Forschen eignet. Ich denke, Fachkräfte sind es gewohnt, bei Kinderfragen zu erkennen, wann es wichtig ist, in den Dialog zu gehen. Aber vielleicht sind es nicht alle gewohnt zu sagen: "Hey, dazu könnten wir mal etwas ausprobieren." Da hilft es, wenn man schon mal mit Kindern geforscht oder auch einen Workshop, zum Beispiel bei der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“, mitgemacht hat. Bei einer Frage wie "Was kann Wasser alles?" kann man zum Beispiel ganz viele Lernerfahrungen anbieten, ohne die Frage sofort zu beantworten.
Was ist eine gute erste Reaktion auf eine Kinderfrage?
Wichtig ist, erstmal die Frage zu würdigen. Weil es toll ist, dass die Kinder auf uns zukommen und sich uns mit ihrer Gedankenwelt zeigen. Dann kann man sagen: "Tolle Frage!" Um anschließend vielleicht eine Rückfrage zu stellen und so genauer herauszufinden, was das Kind möchte. Zum Beispiel indem man fragt: "Wie bist du darauf gekommen?"
Kinder stellen ja sehr viele Fragen. Müssen Pädagoginnen und Pädagogen auf alle eine Antwort haben?
Nein. Das Schöne ist ja, dass wir uns das Bild von der Welt gemeinsam konstruieren. Als Lernbegleitung bin ich ein Teil davon und begleite das Kind dabei, sich die Welt zu erschließen. Ich weiß vielleicht manchmal schon mehr und kenne den möglichen nächsten Schritt. Aber es ist auch nichts schlimm daran, sondern einfach nur authentisch, wenn ich sage: "Mensch, du, das weiß ich jetzt auch nicht. Aber das ist eine spannende Frage."
Es ist nichts schlimm daran, wenn ich sage: "Mensch, du, das weiß ich jetzt auch nicht."
Anne Großkurth, Referentin für MINT-Bildung
Und dann?
Dann kann ich ins Nachdenken gehen: "Ich glaube, das könnte so sein." Es hilft, wenn ich meinen Antworten etwas hinzufüge wie "ich glaube", "ich denke" oder "es könnte sein, dass". Außerdem kann ich die Idee bzw. die Frage des Kindes spiegeln: "Ah, du glaubst also, es könnte so sein." Mit all dem regen wir das Kind dazu an, denken zu lernen. Es lernt, zu spekulieren, Vermutungen zu äußern und sie gegeneinander abzuwägen.
Außerdem ist es eine wichtige Kompetenz zu wissen, wie ich mir Wissen holen kann. Die Welt des Wissens ändert sich schnell. Wissen ist überall verfügbar und es geht nicht mehr darum, oberflächlich ganz viel davon zu haben. Spannend ist deshalb vertieftes Wissen oder Methodenwissen, also Wissen darüber, wie ich ein Problem lösen kann. Es ist also nicht schlimm, wenn ich nicht immer die Antwort weiß. Aber wenn ich weiß, wie ich zu einer Antwort komme, bringe ich mich und auch die Kinder viel weiter. Denn dann kann ich mir theoretisch alles Mögliche erschließen.
Wie stellen Pädagoginnen und Pädagogen ihrerseits Kindern gute Fragen?
Schön ist immer, erstmal den Druck rauszunehmen, die richtige Antwort geben zu müssen. Vielleicht kennen wir das alle noch aus unserer Schulzeit: Die Lehrerin oder der Lehrer fragt, aber die Antwort ist im Grunde schon vorgegeben. Dadurch entsteht bei Kindern das Gefühl, die eine richtige Antwort bringen zu müssen, und wenn sie die nicht kennen, dann ist es falsch.
Wir Erwachsenen stellen Kindern in Kitas und Horten außerdem oft geschlossene Fragen, also Ja-Nein-Fragen. Oder Fragen zum Bewerten wie "Wie war dein Wochenende?". Viel besser sind offene Fragen, die zum Erzählen, Denken und Spekulieren anregen. Wenn ich solche Fragen durch "Was glaubst du?" ergänze und außerdem meine Beiträge durch "Also ich denke, dass" als eine von mehreren Möglichkeiten präsentiere, dann komme ich besser zu wirklichen Dialogen, bei denen jeder etwas beitragen kann und darf.
Wichtig ist also meine Haltung: Bin ich interessiert daran, was das Kind denkt und bringe ich mein Denken ein? Dann kann im gemeinsamen Denken etwas Neues entstehen.
Aktionswoche zum "Wissenschaftsjahr 2022 - Nachgefragt!"
Wie funktioniert ein Algorithmus? Warum sieht ein Regenbogen so bunt aus? Und was ist Strom? Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initierte "Wissenschaftsjahr 2022 - Nachgefragt!" stellt Fragen in den Vordergrund. Und vor Fragen können vor allem Kinder übersprudeln! Gehen Sie gemeinsam mit ihnen ihren Fragen an die Wissenschaft auf den Grund: Vom 14. bis 20. März 2022 zeigen wir jeden Tag neue Inspirationen und praktische Ideen dazu.
Alles zur Aktionswoche