"Obdachlose Menschen sind dem Winter ausgeliefert"

Zwei Mitarbeiterinnen vom Kältebus der Berliner Stadtmission geben Teller mit Suppe aus.
© Berliner Stadtmission
Von November bis März sind täglich vier Kältebusse der Berliner Stadtmission im Einsatz.

Übernachten auf Luftschächten und in Hauseingängen, Flaschen sammeln, um den Lebensunterhalt zu bestreiten – das Leben auf der Straße ist zu jeder Jahreszeit hart, im Winter aber besonders. Barbara Breuer von der Berliner Stadtmission beschreibt im Interview den Alltag obdachloser Menschen und erzählt, wie man mit Kinern über das Thema sprechen und praktisch helfen kann.

Porträtbild von Barbara Breuer
© Berliner Stadtmission
Barbara Breuer ist Pressesprecherin der Berliner Stadtmission

Was bedeutet der Winter für Menschen ohne ein Zuhause?

Stellen Sie sich vor, Sie sind im Winter den ganzen Tag unterwegs. Die Füße sind nass und müde, Sie sind durchgefroren. Und dann können Sie nicht einfach nach Hause gehen, sich einen heißen Tee kochen und sich trockene Sachen anziehen, sondern Sie bleiben so durchnässt und durchfroren die ganze Nacht auf der Straße. Viele obdachlose Menschen sind dem Winter schutzlos ausgeliefert.

Wie kommen die Menschen durch den Tag?

Was viele nicht wissen: Auch Obdachlose haben einen Tagesablauf. Ich war vor einiger Zeit im Winter morgens in einer Notunterkunft. Die schloss um acht Uhr. Aber schon gegen halb acht war kaum noch jemand da. Viele sind da schon unterwegs, um beispielsweise Pfandflaschen zu sammeln. Das ist ihre Einnahmequelle. Sie stehen also morgens auf, sammeln in der Stadt Flaschen, um sich beispielsweise Alkohol kaufen zu können. Denn viele von ihnen sind davon abhängig. Später gehen sie dann vielleicht zu einer Einrichtung, in der es kostenlos warmes Essen gibt. Die Berliner Stadtmission verteilt z. B. am Bahnhof Zoo jeden Tag etwa 600 Mahlzeiten an bedürftige Menschen. Dort gibt es auch ein Hygienecenter, in dem man sich kostenlos waschen, duschen oder zur Toilette gehen kann.

Obdachlose sind Menschen, denen Dinge im Leben passiert sind, die sie aus der Bahn geworfen haben.

Barbara Breuer, Berliner Stadtmission

Und nachts?

Die Leute haben so ihre Orte, an denen sie übernachten: auf Luftschächten, in geschützten Häuserecken. Manche übernachten auch in Hausfluren oder unter Brücken. Isomatten werden in Decken eingewickelt. Es gibt die Leute, die sagen, nachts geht man am besten in einen Schlafsack, setzt auf ein Mehrschichtsystem. Andere sagen, man solle auf keinen Fall im Schlafsack liegen, weil man dann besser weglaufen kann, wenn einen jemand angreift. Da haben alle ihre eigene Methode.

Wo finden obdachlose Menschen im Winter Schutz?

Wir als Berliner Stadtmission bieten in der Hauptstadt mehr als 350 Schlafplätze in Notunterkünften an. Sie schützen vor Kälte und Gewalt. Sie versorgen die Menschen mit Lebensmitteln, Getränken, Hygieneartikeln und bieten medizinische Versorgung. Außerdem bieten sie Sozialberatung an und damit eine Perspektive, von der Straße wegzukommen. Zusätzlich fahren von November bis März nachts vier Kältebusse durch die Stadt. Die Fahrerinnen und Fahrer sind Ehrenamtliche mit einem guten Gefühl für obdachlose Menschen. Manchmal lassen sich die Menschen von ihnen bei einem heißen Getränk davon überzeugen, doch noch in eine Notunterkunft zu gehen. Wenn sie das gar nicht wollen, erhalten sie noch einen Schlafsack oder eine Isomatte und die Ehrenamtlichen kommen am nächsten Abend wieder, um zu schauen, wie es ihnen geht.

Eine Mitarbeiterin der Stadtmission übergibt eine Isomatte an einen Mann.
© Berliner Stadtmission
In der Kleiderkammer der Stadtmission bekommen obdachlose Menschen Winterkleidung, Schlafsäcke und Isomatten.

Auch Kinder begegnen obdachlosen Menschen. Wie kann man mit ihnen darüber sprechen, warum manche kein Zuhause haben?

Ich würde sagen, sehr offen und ehrlich. Meinen Kindern habe ich immer erklärt: Das sind Menschen, denen Dinge im Leben passiert sind, die sie aus der Bahn geworfen haben. Ein Beispiel: Ein Paar hat sich getrennt. Sie haben beschlossen, dass der Mann auszieht, damit die Frau mit dem Kind in der Wohnung bleiben kann. In Berlin ist es aber schwer, eine Wohnung zu finden. Außerdem braucht man Geld, um sie zu bezahlen. Der Mann hat jedoch gerade nichts verdient, weil er krank war. Das macht es noch einmal schwerer, eine Wohnung zu bekommen, und so hat er keine gefunden. Was ich Kindern auch sagen würde, ist, dass in Deutschland eigentlich niemand obdachlos sein müsste. Dass es Unterstützung und Ansprüche auf bestimmte Leistungen gibt. Der Mann aus dem Beispiel hätte zum Amt gehen und einen Antrag stellen können. Aber viele schaffen es nicht, ihre Ansprüche geltend zu machen, etwa weil sie psychisch krank sind oder ihnen das Wissen fehlt.

Das Wichtigste, was wir machen können, ist, diese Menschen wahrzunehmen.

Barbara Breuer, Berliner Stadtmission

Wie kann man – auch gemeinsam mit Kindern – obdachlosen Menschen im Winter helfen?

Es gibt drei Wege. Man kann beispielsweise Sachspenden abgeben. Wichtig ist dabei, zu schauen: Was braucht die Hilfsorganisation oder die Kirchengemeinde meiner Wahl wirklich? Man kann sich auch ehrenamtlich engagieren. Kinder können das natürlich noch nicht, aber es gibt z. B. Schulklassen und Kita-Gruppen, die zu Weihnachten Päckchen packen. Sie fragen vorher bei uns nach, worüber sich obdachlose Menschen freuen, und packen dann Päckchen mit Socken und Unterwäsche, Handschuhen und Mützen, mit Kaffee oder Stollen. Die dritte Möglichkeit ist, Geld zu sammeln – etwa mit einem Kuchenbasar – und zu spenden. Aber ich glaube, das Wichtigste, was wir alle machen können, ist, diese Menschen wahrzunehmen, mit ihnen auf Augenhöhe zu sprechen und zu fragen, was sie brauchen – und auch zu respektieren, wenn die Menschen vielleicht Nein sagen und Hilfe ablehnen.

Portrait von Katharina Hanraths
Autor/in: Katharina Hanraths

Als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist es mein Ziel, dass so viele Menschen wie möglich erfahren, was die Stiftung Kinder forschen macht und anbietet. Nicht einfach nur, weil es mein Job ist, sondern weil ich überzeugt bin, dass gute frühe MINT-Bildung Kindern noch viel mehr bringt als bloßes Wissen über Aggregatzustände und Stromkreise.

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