Frühe Förderung von Selbstregulations-Kompetenzen

© Christoph Wehrer/ (c) Stiftung Kinder forschen

Wie können Kinder lernen, ihre Gefühle, ihr Verhalten und ihre Aufmerksamkeit selbst zu steuern und warum ist das so wichtig? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Veranstaltung „Frühe Förderung von Selbstregulationskompetenzen“, die am 15. Oktober 2025 im Berliner Spreespeicher stattfand. Vertreter:innen aus Wissenschaft, Politik, Gesundheitswesen und frühpädagogischer Praxis kamen zusammen, um Wege zu finden, wie Kinder von klein auf in ihrer Selbstregulation unterstützt werden können.

Warum sind Selbstregulationskompetenzen wichtig?

Selbstregulationskompetenzen sind entscheidend für das Wohlergehen und die Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern. Kinder, die früh lernen, ihre Emotionen und Handlungen zu steuern, profitieren ihr Leben lang: Sie können sich besser konzentrieren, Konflikte lösen und langfristige Ziele verfolgen. Studien zeigen, dass diejenigen, die in der Kindheit über gute Selbstregulationskompetenzen verfügen, als Erwachsene physisch und psychisch gesünder, häufiger erwerbstätig und seltener kriminell sind. 

Die Leopoldina Nationale Akademie der Wissenschaften forderte deshalb 2024, die Förderung der Selbstregulationskompetenzen  zu einer weiteren Leitperspektive des deutschen Bildungssystems zu verankern. Selbstregulationskompetenzen umfassen kognitive, motivationale und soziale Kompetenzen. Dazu gehört die Fähigkeit, seine Emotionen und Stressanfälligkeit zu regulieren, Aufmerksamkeit zu steuern, seine Handlungen zu kontrollieren und kurzfristige Wünsche und Bedürfnisse zurückzustellen zugunsten langfristiger Ziele, die in umsetzbare kurzfristige Ziele überführt werden.
 

Entdecken, Forschen und Selbstregulation – wie passt das zusammen?

Dass MINT-Bildung und die Förderung von Selbstregulation eng miteinander verknüpft sind, zeigt die im Auftrag der Mercator Stiftung und der Stiftung Kinder forschen erstellte Expertise „Bedeutung exekutiver Funktionen in der frühen MINT-Bildung und Kulturellen Bildung“.  Beim Entdecken und Forschen trainieren Kinder exekutive Funktionen wie Arbeitsgedächtnis, Inhibition und kognitive Flexibilität, also zentrale Grundlagen der Selbstregulation. 

Auch Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Sabina Pauen fasste in ihrem Beitrag „Selbstregulation: Impulse steuern, Zukunft gestalten“ im Rahmen der MINTplus-Webinarreihe der Stiftung Kinder forschen überzeugend und sehr praxisnah zusammen, an welchen Stellen des Forschungskreises diese Förderung besonders gut gelingt.
 

Ein Abend mit starken Impulsen und engagierten Stimmen

© Siemens Stiftung

Das Publikum der Veranstaltung „Frühe Förderung von Selbstregulationskompetenzen“ in Berlin war vielfältig: Fachkräfte aus Kitas, Vertreter:innen aus Politik, Wissenschaft und Gesundheitswesen diskutierten engagiert miteinander. 

Prof. Dr. Johannes Buchmann von der Leopoldina betonte zu Beginn die Bedeutung einer frühen Förderung der Selbstregulationskompetenzen. Prof. Dr. Freia De Bock, Gesundheitswissenschaftlerin und Fachärztin für Kinder und Jugendmedizin von der Charité, fasste zusammen, was für die Wirksamkeit von Bildungsangeboten entscheidend ist, mit denen Selbstregulationskompetenzen gefördert werden sollen.

Das Podium wurde anschließend ergänzt von Sarah Ladkau, Einrichtungsleitung des Naturkindergartens Treptow (Fröbel) und Claudia Fligge-Hoffjann, Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 

Insgesamt herrschte ein großer Konsens, dass die Förderung der Selbstregulationskompetenzen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe sei, schließlich ginge es dabei nicht nur um das Einzelwohl. Das spiegelt sich beeindruckend in der von Freia De Bock so eindeutig beschriebenen Datenlage wider: „Kinder mit guten Selbstregulationskompetenzen sind in ihren 30ern gesünder, seltener arbeitslos und seltener kriminell.“ Claudia Fligge-Hoffjann bestätigte die gesamtgesellschaftliche Bedeutung: „Ein psychisch gesundes Leben führen zu können mit guten Interaktionen, muss unser Ziel sein“. 

Sarah Ladkau mahnte an, die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher stärker wertzuschätzen und für bessere Rahmenbedingungen zu sorgen. Schließlich hat sich in Studien gezeigt, dass die Fähigkeit der begleitenden Erwachsenen, ihr Verhalten selbst „ko-regulieren“ zu können, ein wichtiger Gelingensfaktor für die Wirkung von Bildungsangeboten zur Förderung von Selbstregulationskompetenzen ist. Mehrere Stimmen aus dem Publikum erinnerten daran, dass Selbstregulation auch ein Kinderrechtsthema sei Kinderrechte seien zwar verankert, sollten aber endlich mehr berücksichtigt und eingehalten werden.
 

Selbstregulation fördert Bildungsgerechtigkeit

© Siemens Stiftung

Mich hat zusätzlich beeindruckt, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien besonders von Angeboten zur Förderung der Selbstregulationskompetenzen profitieren, wie Freia der Bock aus der Analyse von Metastudien ableiten konnte. Damit kann die Förderung der Selbstregulationskompetenzen also auch einen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit leisten.

Am Ende fasste Thomas Gazlig, Leiter Charité BIH Innovation, die Veranstaltung mit den Worten vollkommen treffend zusammen: „Selbstregulationskompetenzen sind ein Schlüsselthema: Das Leben wird besser, man fühlt sich wohler und man wird weniger krank. Wir brauchen eine nationale Initiative starker Partner, ich lade alle Anwesenden ein, dabei mitzumachen!“

Die Veranstaltung wurde gemeinsam organisiert von der Stiftung Kinder forschen, der Charité - Universitätsmedizin Berlin und der Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Mit freundlicher Unterstützung der Siemens Stiftung, der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung sowie der Stiftung Charité.
 

Gemeinsam für starke Kinder

Die Charité Universitätsmedizin Berlin und die Stiftung Kinder forschen möchten künftig gemeinsam die frühe Prävention vor gesundheitlichen Risiken stärken – so steht es im 2025 unterzeichneten Memory of Understanding. Da Selbstregulationskompetenzen eine zentrale Grundlage für gesundheitsförderliches Verhalten und Resilienz bilden, setzt das Vorhaben zunächst hier an. Wir möchten Fachkräften unter anderem zeigen, wie sie die Selbstregulationskompetenzen von Kindern beim Entdecken und Forschen besonders wirksam stärken können.

Was soll konkret getan werden?
Die Kooperationspartner möchten mit vereinten Kräften die Handlungsempfehlungen der Leopoldina umsetzen. Sie schlägt vor, Indikatoren für Selbstregulationskompetenzen von Kindern und Jugendlichen zu entwickeln und in das bundesweite Bildungsmonitoring aufzunehmen. Außerdem sollen wirksame Bildungsangebote zur Förderung der Selbstregulationskompetenzen in deutschen Kitas und Schulen entwickelt, flächendeckend eingeführt sowie kontinuierlich evaluiert und verbessert werden.
 

Portrait von Stephan Gühmann
Autor/in: Stephan Gühmann

Mir wird oft nachgesagt, dass meine eigene Begeisterung für die Naturwissenschaften ansteckend sei. Darüber freue ich mich als gelernter Molekularbiologe sehr! Tatsächlich sehe ich gar keine großen Unterschiede zwischen meiner früheren Arbeit in der Grundlagenforschung und den Entdeckungen, die Kinder machen. Forschen tut man nämlich nur, wenn man nicht weiß, was herauskommen wird! Mit großer Leidenschaft setze ich mich außerdem nicht nur auf Fachtagen dafür ein, Sprach- und MINT-Bildung als zwei Bildungsbereiche zu sehen, die ideal gemeinsam gefördert werden können. Denn: Wer fragt, der forscht und wer forscht, der fragt!

Alle Artikel von Stephan Gühmann